KlimaschutzKlima der Ideen

Bei Klimaschutz und Energiewende erwarten die Menschen die eine große Lösung. Dass es die aber nicht gibt, zeigen die Klimakonferenz in Doha ebenso wie die Schwierigkeiten der deutschen Politik.

„Nichts.“ Knapp und klar hatte Dennis Meadows in der „Frankfurter Allgemeinen“ seine Erwartungen an die Klimaverhandlungen in Doha beschrieben. Mit seiner vom Club of Rome in Auftrag gegebenen berühmten Studie „Die Grenzen des Wachstums“ hatte der amerikanische Ökonom 1972 Politik und Gesellschaft aufgerüttelt. Wir können nicht länger unseren Planeten so hemmungslos ausbeuten. Diese Überzeugung kam mehr und mehr auf. Wissenschaftlich wurde immer besser belegt, dass der Ausstoß von Kohlendioxid bei der Verbrennung von Kohle, Öl, Gas und Holz das Klima aufheizt. Das Gas sorgt - ähnlich dem Glas eines Gewächshauses - in der Atmosphäre dafür, dass die Wärme der Sonneneinstrahlung nicht direkt wieder abgestrahlt wird. Dieser Treibhaus-Effekt ist grundsätzlich notwendig. Es wäre sonst deutlich kälter auf der Erde. Die Konzentration von Kohlendioxid hat seit der Industrialisierung jedoch derart zugenommen, dass die zunehmende Erderwärmung zu immer häufiger auftretenden Wetterextremen wie Dürre und Hochwasser führt. Diesen Trend haben auch alle Anstrengungen zum Klimaschutz nicht umgekehrt.

Dabei waren die Voraussetzungen, diesen Klimawandel abzuwenden, „nie besser als in den zurückliegenden vierzig Jahren gewesen, doch wir haben versagt“, zeigt sich Meadows ernüchtert. Auch wenn sich einige seiner konkreten Vorhersagen nicht bewahrheitet haben, gibt es kaum Zweifel an den Grundaussagen. Wir brauchten zweieinhalb bis drei Erden, damit alle der heute sieben Milliarden Menschen einen westlichen Lebensstil führen könnten. Doch die Vorhersagen bleiben letztlich zu abstrakt gegenüber den konkreten Vorteilen aktuellen wirtschaftlichen Wachstums. „Jemand muss heute Schmerzen ertragen und Opfer bringen für etwas, von dem ein anderer erst viel später profitiert. Demokratische Systeme sind offensichtlich unfähig, die Menschen zu solchem Verhalten zu mobilisieren“, so Meadows.

Kyoto, Doha - und dann?

Die Beschlüsse des 18. Klimagipfels in Doha geben einem solchen Pessimismus weiter Nahrung. Mehr als 20 000 Teilnehmer aus fast 200 Ländern konnten sich nur darauf einigen, dass man den Prozess nicht vollständig scheitern lässt. Das sogenannte Kyoto-Protokoll von 1997, das bereits seit Jahren durch eine neue verpflichtende Vereinbarung zur Verringerung des Kohlendioxid-Ausstoßes ersetzt werden soll, wurde nochmals bis 2020 verlängert. Neben den 27 Ländern der Europäischen Union bekennen sich bloß zehn weitere Staaten, unter ihnen Australien, Norwegen und die Schweiz, zu dem Vertrag. Sie sind gemeinsam aber „nur“ für fünfzehn Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Länder mit höherem beziehungsweise sehr hohem Kohlendioxidausstoß haben wie China und die Vereinigten Staaten von Amerika das Protokoll nie unterschrieben oder sind wie Russland, Japan und Kanada ausgestiegen.

Ein Nachfolgeabkommen, mit dem sich die Länder zu deutlichen Einsparungen von Treibhausgasen verpflichten, soll - so der zweite „greifbare“ Beschluss - bis 2015 erarbeitet werden. Wirklich verbindliche Zusagen für Ausgleichszahlungen für Klimaschäden und Hilfen für Entwicklungsländer wurden auf nächstes Jahr verschoben.

Neu war auf dem Gipfel in der Hauptstadt des Golfstaats Katar, dass sich auch die EU und die Bundesregierung zerstritten präsentierten. So lehnten Polen auf EU- und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler auf nationaler Ebene zusätzliche Anstrengungen ab. Bislang hatte die EU zugesagt, ihre Emissionen bis 2020 um zwanzig Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern. Da dies bei uns fast schon erreicht ist, wollten viele die Zusage auf eine Reduzierung um dreißig Prozent erhöhen.

Vorreiter klemmt Ökostrom ab

Dies hätte auch dem sonst viel beschworenen (Selbst-)Bild vom „Vorreiter“ entsprochen: Wenn wir der Welt zeigen, dass die Energiewende möglich ist, dass ein Industrieland den Ausstoß von Kohlendioxid massiv verringern, auf Atomstrom verzichten und einen Großteil seines Energiebedarfs mit Sonnen-, Wind- und Wasserkraft decken kann, dann folgen andere diesem Beispiel. Als falsch hat jedoch der Direktor des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, Kai Konrad, diese Strategie bezeichnet. „Stellen Sie sich vor: Ein Kind droht in den Teich zu fallen. Wenn dann einer der Umstehenden sagt, er werde auf jeden Fall hineinspringen, werden sich die anderen nicht nass machen“, so Konrad im „Spiegel“. Während dem Kind geholfen ist, stehen die Nationen allerdings vor dem Problem, dass „zur Rettung des Weltklimas einer allein nicht reicht“. Deshalb müsse Europa klarmachen, dass es nicht länger bereit ist, das Klima im Alleingang zu retten. „Statt Kohlendioxid um jeden Preis zu vermeiden, sollten wir uns auf die fortschreitende Erderwärmung vorbereiten. Das ist eine glaubwürdige Drohung: Nach allem, was wir wissen, wird Mitteleuropa vergleichsweise wenig unter dem Klimawandel leiden“, schlägt Konrad vor, der auch die Bundesregierung berät.

Diese Einschätzung ist zwar richtig, aber zynisch. Denn es waren weder die aufstrebenden Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien noch die Entwicklungsländer, die in der Vergangenheit maßgeblich zur weltweiten Klimaerwärmung beigetragen haben. In den Verhandlungen nun auch noch auszunutzen, dass man selbst als Verursacher unter den Folgen aller Voraussicht nach weniger zu leiden hat, fördert ein Klima des Misstrauens, das in globalisierten Verhältnissen schlicht unverantwortlich ist. Aus Sicht der Schwellenländer hat der Westen Umwelt und Klima seiner wirtschaftlichen Entwicklung geopfert und fordert nun von anderen, auf Wohlstand und Fortkommen zu verzichten. Glaubwürdig kann Europa für einen Kampf gegen die Erderwärmung nur werben, wenn es Schwellen- und Entwicklungsländern zeigt, wie Entwicklung ohne einen immensen Anstieg des Kohlendioxidausstoßes möglich ist.

Die hierzulande viel beschworene Energiewende gibt bislang jedoch wenig Grund zu Optimismus, wie selbst die Zahlen des Bundesverbands Windenergie zeigen. „Mehr als 400 Gigawattstunden Ökostrom mussten demnach 2011 in den Wind geschrieben werden, weil es keine Leitungen für den Abtransport gab. Eine große Zahl Windparks wurde trotz frischer Brise vom Netz abgeklemmt, weil sich niemand um Transportkapazitäten gekümmert hatte. Zahlen muss der Verbraucher für den nicht gelieferten Windstrom trotzdem: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, ein staatlich verordneter Kaufzwang für Ökostrom, lässt den Bürgern da gar keine andere Wahl“, kommentierte die „Welt“. Dass damit Ökostrom, mit dem man eine Stadt wie Göttingen hätte versorgen können, einfach vernichtet wird, spreche nicht gegen die Energiewende an sich, sondern gegen die Art und Weise: „Wer darangeht, die Infrastruktur einer hoch industrialisierten Volkswirtschaft auf den Kopf zu stellen, sollte sich an den Mindeststandards einer professionellen, industriellen Projektsteuerung messen lassen können. Davon war bei der Bundesregierung lange Zeit gar nichts erkennbar, inzwischen sieht man wenigstens Ansätze.“

Windräder auf Hausdächern

Doch es stellen sich radikalere Fragen. In riesigen Windparks an der Küste oder auf dem offenen Meer wird Strom produziert, wo ihn keiner braucht. Die notwendigen leistungsfähigen Stromtrassen von Nord nach Süd fehlen bislang, und ihr Bau - wer will schon zig Meter hohe Strommasten vor seiner Haustür haben? - wird heftigen Widerstand auslösen. Was bei gigantischen Kohle- oder Atomkraftwerken falsch war, wird durch einen grünen Anstrich nicht besser. Wer Strom vor allem zentral produziert und über lange Strecken transportiert, hat immense Energieverluste. Selbst beim sogenannten Ökostrom wird zu zentralistisch gedacht. In einem Land, in dem die Stromversorgung und die Leitungsnetze unter vier Quasi-Monopolisten aufgeteilt sind, die abgesehen von einigen Kleinstkonkurrenten keinen echten Wettbewerb zu fürchten haben, ist dies allerdings auch wenig verwunderlich. Aufgeschreckt wurden die Verbraucher zudem von drastischen Preiserhöhungen. Begründet werden diese mit der Umstellung auf regenerative Stromgewinnung.

„Wichtige Teile der Energiewende sind regional zu schaffen, effektiv, kleinteilig, finanzierbar und undogmatisch“, meint dagegen Wolfgang Frey in seinem Buch „Free Energy. Energie - verblüffend einfach“ (Freiburg 2012). Der Architekt will einen Perspektivenwechsel. Ob auf gigantischen Klimagipfeln oder bei der Energiewende: Es wird nach der einen großen Lösung gesucht, die sich dann als so kompliziert und vielschichtig erweist, dass man gar nichts machen kann. Auch „die riesigen Netzausbauten, die notwendig sein sollen, damit die Energiewende gelingt, sind ein Symbol für die Haltung, dass Dritte etwas für uns tun sollen, damit wir komfortabel weiterleben können. Auf Kosten der nächsten Generationen …“ Frey schlägt vor, „was der Einzelne in und für die Energiewende tun kann“. Angesichts der Akzeptanz, die wir Satellitenschüsseln auf Balkonen und Dächern entgegenbringen, fragt er: „Warum stehen da keine Windräder, die auch kaum andere Geräusche verursachen?“

Bislang wird nur darüber nachgedacht, wie noch größere Rotoren auf noch höheren Bergen oder noch weiter vor der Küste noch gleichmäßigere, noch idealere Windbedingungen optimal nutzen können. Die Konflikte mit Umweltschützern sind vorprogrammiert. Frey versucht niemandem weiszumachen, dass Windräder an sich schön sind und die Landschaft bereichern. Er dreht die Herangehensweise um. Allein „in Baden-Württemberg stehen 30 000 Strommasten. Würden auf allen Fünfzig-Kilowatt-Windräder installiert, gäbe das eine Leistung von 1500 Megawatt und brächte Energie im Gegenwert der Produktion eines Atomkraftwerks“, rechnet er vor. Bereits vor Jahren wurde eine ähnliche Idee in Niedersachsen mit dem Verweis auf die Statik als nicht praxistauglich bewertet: „Man formulierte eine Versuchskonfiguration mit 500(!)-Kilowatt-Rädern.“ Mit überdimensionierten Zielen wurde also dafür gesorgt, dass am Ende aus der guten Idee nichts wurde. Doch selbst wenn kleinere Räder die Masten ins Wanken bringen sollten, könnte man die Idee einfach umdrehen und bei Neubauten die Stromleitungen an Windradmasten hängen. „Auch wenn nicht jeder Mast dort steht, wo genügend Wind weht, bleiben durch die Kombination von beiden ausreichend viele wirtschaftliche und ökologische Synergien.“

Kleinstturbinen könnten in unseren Wasserleitungen, wo bislang Druckverminderer das zu stark durchströmende Wasser bremsen (also Energie vernichten), Energie gewinnen. Begrünte oder mit einem flachen Teich isolierte Dächer würden den weltweit immens steigenden Einsatz von Klimaanlagen vermindern. Diesen Effekt hätte auch die Verschattung moderner Glasfassaden. Wird es kalt, dämmt die Vegetation. Diese und viele andere teils bekannte, teils naheliegende Vorschläge klingen nach dem berühmten Tropfen auf den heißen Stein. Bedenkt man aber, dass wir in unseren Netzen ununterbrochen die Energie für alle erdenklichen Eventualitäten vorhalten, wird deutlich, welch große Einsparungen möglich sind. Wir können Tag für Tag die Energiemengen für den Spitzenstrombedarf produzieren, damit etwa zur Mittagszeit an einem heißen Sommertag, wenn Klimaanlagen und Computer auf Hochtouren laufen, das Mittagessen für Millionen gekocht werden kann.

Frey vereinfacht mit seinen Beispielen die komplexen, abstrakten Informationen zur Erderwärmung und liefert Lösungsvorschläge, die jeder Einzelne konkret umsetzen kann und die in der Praxis bereits funktionieren. Das ist dem Sozialpsychologen Mark van Vugt von der Universität Amsterdam zufolge die Voraussetzung dafür, dass sich überhaupt eine Verhaltensänderung einstellen kann. Denn das Informationswirrwarr machte bei seinen Versuchen die Probanden zu Egoisten, wie die „Frankfurter Rundschau“ berichtete: „Je unsicherer wir bei einer Entscheidung sind, desto eher neigen wir dazu, in unserem eigenen Interesse zu handeln.“

Der Psychologe Mathew Feinberg von der University of California hat zudem festgestellt, dass Horrorszenarien die Menschen eher skeptisch werden lassen, während weniger apokalyptische, sachliche Informationen die Bereitschaft zu Verhaltensänderung begünstigen. „Wir haben einen tief sitzenden Glauben, dass die Welt letztlich gerecht, geordnet und stabil ist, und alles, was diese Überzeugung gefährdet, leugnen wir am liebsten“, beschreibt Feinberg die menschliche Vogel-Strauß-Mentalität. Allerdings muss gleichzeitig klar sein, dass die Menschen sich mit ihrem maßlosen Energieverbrauch ins eigene Fleisch schneiden. „Zeitlich oder räumlich weit entfernte Gefahren lassen sie dagegen kalt“, fasst die „Rundschau“ die Thesen van Vugts zusammen.

Modern ist: kein Auto

Diese Erkenntnisse erklären, warum seit einigen Jahren das Interesse an Klimakonferenzen mit ihren immer gleichen Ritualen drastisch eingebrochen ist. Zu Beginn wird eine wissenschaftliche Studie veröffentlicht, die belegt, dass das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen - was als gerade noch technisch beherrschbar gilt -, nicht mehr zu halten ist. Vor Doha hieß es, die durchschnittliche weltweite Temperatur werde sich um vier, wenn nicht sogar um fünf Grad erhöhen. Anschließend wird zwei Wochen lang über stockende Verhandlungen von Wissenschaftlern und Fachpolitikern berichtet, bevor am Ende alles ganz schnell gehen muss, damit ein windelweicher Kompromiss das Scheitern gerade noch abwendet.

Auch viele Politiker haben erkannt, wie gefährlich diese ritualisierten, ergebnisarmen Konferenzen sind. Ihr Vorschlag einer „Koalition der Willigen“ könnte den Weg aus dem Dilemma weisen. Es gibt Chancen, dass sich neben EU und Entwicklungsländern auch Schwellenländer wie Brasilien und China beteiligen. Den Kommunisten in Peking bereiten Proteste aufgrund von Umwelt- und Luftverschmutzung jetzt schon immer größere Probleme. Entsteht unter diesen Ländern ein Klima, in dem nicht darum gefeilscht wird, wer auf was und wie viel verzichten muss, sondern wie neue, technisch anspruchsvolle Lösungen ein ressourcenschonendes Wirtschaften ermöglichen, wird Klimaschutz auch auf internationalen Konferenzen wieder wettbewerbsfähig.

Die Forderung, ganz auf die Treffen aller Staaten dieser Welt zu verzichten, wird manchen Konferenz-Erfolgen jedoch nicht gerecht. Denn die Aufmerksamkeit in den Medien, die Bereitschaft selbst internationaler Konzerne, umwelt- und klimafreundliche Produkte herzustellen, die Erfahrung, dass sogar in den abgelegensten Regionen der Welt über die Erderwärmung und ihre Folgen gesprochen wird - all das wäre ohne zwanzig Jahre Klimakonferenzen nicht denkbar. Die FAZ beobachtet einen Bewusstseinswandel konkret beim bewussten Verzicht auf das Auto. „Unter jungen Leuten ist es kein Makel (mehr), kein Auto zu besitzen. Eine Monatskarte für Bus und Bahn ist kein Ausweis für mangelnde Mobilität und Modernität, sondern das Gegenteil.“

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