KirchenräumeDie Kathedrale Smartphone

Mittelalterliche Kathedralen und internetfähige Handys, die sogenannten Smartphones, haben einiges gemeinsam.

Als das Zweite Vatikanische Konzil 1964 das unscheinbare „Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel“ („Inter mirifica“, „Unter den erstaunlichen Erfindungen“) beschlossen hatte, war dies auf die Medien Presse, Film, Rundfunk, Fernsehen „und andere gleicher Art“ bezogen (Art. 1). Gleichwohl sind die positive Grundeinstellung und der Anspruch, die sozialen Kommunikationsmittel „mit christlichem Geist zu beseelen“ (Art. 3), wegweisend auch für unseren Umgang mit Internet, sozialen Netzwerken und Mobilfunk.

Auf eine mögliche Rückbindung der menschlichen Kommunikation an eine überirdische verweist ein Bild der Nürnberger Künstlerin Melanie Kyrieleis (geboren 1970): Es zeigt ein handelsübliches Handy mit einer Muttergottes im Display. Das Werk nennt sich „Ihre Verbindung wird gehalten“. Das Smartphone scheint dieses Versprechen zu erfüllen, da es sich automatisch und dauernd mit dem virtuellen Raum des Internets verbindet. Funktion wie Faszination, die das Smartphone heute ausübt, kommen jenen der Kathedralen im Mittelalter gleich. Wie Antennen streben deren Türme dem Himmel entgegen. Gleichzeitig verankern sie ihre Stadt in einem Kommunikationsraum mit dem Transzendenten, Ewigen. Die gotischen Kathedralen haben als Medium der Kommunikation seinerzeit die gesamte Gesellschaft vereint und deren Heilserwartung repräsentiert.

In der globalisierten Welt bringt das Smartphone Menschen in Bewegung, verbindet sie untereinander und versorgt sie mit unmittelbarer Information in „Echtzeit“. Die Benutzer sind fasziniert von der einfachen Bedienung, der ansprechenden Verarbeitung und den makellosen Oberflächen dieser kleinen Geräte, die auf sanfteste Berührung hin anscheinend die ganze Welt vor unsere Augen und Ohren bringen. Das Smartphone ist „eine große Schöpfung der Epoche, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern erdacht wurde und die … von einem ganzen Volk benutzt wird, das sich in ihr ein magisches Objekt zurüstet und aneignet“. Diese Worte stammen vom französischen Philosophen Roland Barthes (1915-1980), der 1957 damit das Automobil kennzeichnete als „zeitgemäße Entsprechung der gotischen Kathedrale“.

Beinahe wie ein religiöses Ritual zelebriert Apple jedes Jahr die Vorstellung eines neuen „revolutionären und magischen Objekts“. Ob iPhone oder ein Produkt der Konkurrenz - wie das „Galaxy S III“ von Samsung -, jedes Smartphone ist für einen individuellen Benutzer ausgelegt. Auf dem Display erscheint eine auf den Einzelnen zugeschnittene, persönlich ausgewählte Vielfalt von Möglichkeiten. Von Telefon, SMS, Kamera, E-Mail, Internet, Tagebuch bis zur elektronischen Brieftasche sind im Smartphone alle Möglichkeiten jederzeit verfügbar in einer Hand. Das Gerät verspricht, jederzeit mühelos vom eigenen Standort aus mit jedem beliebigen Empfänger auf der Erde ins Gespräch kommen zu können. Das Display hat die Funktion des mittelalterlichen Kirchenportals übernommen: Es empfängt den Benutzer, gibt eine Vorschau auf den Inhalt und navigiert ihn hindurch in die „Community“, also die Gemeinschaft all jener Handybenutzer.

Fenster zum Schauen

Wie die gotischen Kathedralen und die großen Bahnhöfe des 19. Jahrhunderts als „Kathedralen des Fortschritts“ ist das Smartphone ein Sinnbild unserer Epoche. Von den Bahnhöfen über das Auto bis zum Mobiltelefon rückt die Technologie der Sehnsucht den Menschen immer näher. Er ist dauernd bereit zu senden und zu empfangen: ständig auf Abruf, nicht mehr nur dort präsent, wo man sich räumlich gerade befindet. Das Smartphone lässt uns jederzeit in andere Räume und Zeiten eintauchen.

Von einer symbiotischen Beziehung zu ihrem Smartphone berichtete die Journalistin Nina Pauer in der „Zeit“. Eine klare Trennung der Realität in die Welten von online und offline, zwischen denen wir uns beständig hin- und herbewegen, scheint nicht mehr möglich. Über das Smartphone, mit dem wir spielerisch und spielend umgehen, wird alles zum Spiel - doch eine womöglich auftretende Spielsucht schreibt die Autorin nicht sich selbst, sondern dem Gerät zu.

Die amerikanische Kulturwissenschaftlerin Sherry Turkle erklärte in einem Interview mit dem „Süddeutsche Zeitung Magazin“, dass Smartphones „nicht nur verändern, was wir tun, sondern auch, wer wir sind. Sie bestimmen, wie wir miteinander und mit uns selbst umgehen.“ Wenn Handybenutzer keinen Empfang mehr haben oder ihr Smartphone nicht bei sich haben, geraten manche in Panik. Dann entsteht die Angst, allein zu sein oder etwas zu verpassen. Der Umsatz von Informationen und Ideen geht heute schneller als jemals zuvor. Wir kommen oftmals kaum mit dem Sortieren nach, haben auch wenig Geduld, ein Bild, ein Wort auf uns wirken zu lassen, es auszukosten.

In spiritueller Hinsicht ist eine Kathe­drale nicht weniger multifunktional als ein Smartphone. Ihre Portale, Skulpturen und Buntglasfenster erzählen die Geschichten Gottes mit den Menschen. Dies erfolgt in Bilderserien aus der Bibel und gemäß der Überlieferung der Heiligen, mit Querverweisen von der Fassade in den Innenraum und zurück. Lange vor dem Betriebssystem „Windows“ - Fenster - haben die Buntglasfenster einer Kathedrale ein religiöses, Lebenssinn vermittelndes Bildprogramm geliefert. Unter der Bevölkerung konnten damals nur die wenigsten lesen und schreiben. Doch während wir oft rätselnd vor jenen Bildern stehen und keinen Zusammenhang mit unserem Leben erkennen, konnten die Menschen des Mittelalters ihre Bibel aus Stein und Glas wie ein Rätsel entziffern, dechiffrieren, ähnlich wie wir es heute mit Internetseiten gewohnt sind. Die eine wie die andere Technologie wurde und wird immer wieder neu den Bedürfnissen der Zeit und der Menschen angepasst, personalisiert.

Das mittelalterliche Welt- und Menschenbild war auf den Himmel ausgerichtet, das heutige ist auf das Internet hin orientiert. Während die gotische Architektur revolutionär war, indem sie dem Licht- und Raumempfinden eine neue Qualität verliehen hat, erleuchtet uns heute das elektrische Flackern unserer Displays. Ununterbrochen online zu sein, schafft eine virtuelle Parallelwelt, in die wir wie einst in der Liturgie zeitvergessen hineintreten - und uns darin bewegen, aber auch verlieren können.

Jedoch kann das Smartphone das spirituelle Leben auch bereichern, zwischenmenschliche Beziehungen zur Entfaltung bringen, vielleicht sogar die Beziehung zum Heiligen anregen und interkulturell wirken. Unter zahllosen Zusatzprogrammen gibt es mittlerweile Gottesdienstfinder, Apps von Domen und Kirchen, von Bibelausgaben und auch den „Pocket-Islam“, der neben dem Korantext auch über die Gebetszeiten informiert. „Ihre Verbindung wird gehalten“ - durch eine spirituelle Infrastruktur auch ohne Internet und Gebühren.

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