Katholikentag in RegensburgVerschlusssache Glauben

Jeder Katholikentag ist anders und doch ähnlich. Jeder Besucher erlebt diese fröhliche Auszeit in Gebet und Liturgie, mit Diskussionen und Begegnungen, frommen und profanen Genüssen auf seine Weise. Das Regensburger Treffen verlief routiniert - offenbarte aber auch Stagnation.

Selbst wenn es regnet, wenn die Erde vom Nieselgrau eingehüllt und jede Aussicht nach oben abgeschnitten ist, geben die Türme des Regensburger Doms namens Petrus nicht nach. Unbeirrt strecken sie sich aus, als ob es jenseits der Wolken noch etwas geben könnte, was sogar das Überragende überragt: himmelwärts. Doch vom Himmel reden auch Fromme nicht mehr so leicht. Christliche Versammlungen wie jüngst der Katholikentag in der spätmittelalterlichen Stadt an der Donau mit mehr als 30 000 Dauerteilnehmern befassen sich lieber mit Problemen, die uns irdisch gefangen nehmen.

Im Vordergrund steht dann dieses und jenes mehr oder weniger aufregende, teils seit Jahrzehnten behandelte Unterhaltungsthema des gesellschaftlichen wie kirchlichen Binnenbetriebs. Die religiöse Sprache versagt jedoch oftmals gerade dann, wenn es um alles geht, wenn der Klang des Ewigen vor dem Unvermeidlichen ins Schweigen treibt: beim Sterben, am Grab, in den Schrecken der Existenz. Das Problem „sind die Lebenden, nicht die Toten“, beobachtet der Regensburger Theologe und erfahrene Seelsorger Alfons Knoll. Vom Himmel zu sprechen, wage in derartigen Situationen fast niemand mehr, selbst der Geistliche nicht. Unter dem vielen inner- wie außerkirchlichen Gerede und dem oftmals gefälligen rituellen Getue wird das eigentliche religiöse Problem - die Plausibilität und der Plausibilitätsverlust Gottes - selbst unter Glaubenden nicht selten zur Verschlusssache, allenfalls minimiert zum diesseitigen Trost. Man müsse - so Knoll - zudem respektieren, dass es Menschen gibt, „die den Himmel als Gemeinschaft mit Gott nicht wollen“. Es ist nicht leicht, die moderne Diesseits-Vertröstung, das neue Opium des Volkes, als solches zu entlarven und die zur Problembotschaft gewordene neutestamentliche Erlösungsbotschaft Auferstehung auch unter Christen wieder zu wecken. Knoll hofft dennoch auf die Unschärfe der Poesie. Sie schafft im Gegensatz zur fixierten Dogmatik noch am ehesten anrührende Bilder und Klangfarben, wenn die geläufigen zerflossen sind: „Zum Paradies mögen Engel dich geleiten …“ Möglicherweise lässt sich der irdische Trost dann doch noch aufs Himmlische ausrichten jenseits religiösen Leistungswahns: „Nicht wir kommen in den Himmel, sondern der Himmel kommt auf uns zu.“ Gott. Wir sind willkommen. Sind wir es wirklich?

Warum kein Salafist?

Die Vorstellungen eines endzeitlichen Gerichts, die jahrhundertelang Höllenängste und Verzweiflung nährten, haben sich aufgelöst - mangels Glaubwürdigkeit. Manche Ungleichzeitigkeiten aber bleiben. Die Osnabrücker Religionspädagogin Martina Blasberg-Kuhnke wies darauf hin: „Bei muslimischen Kindern haben wir viel mehr als bei christlichen angstbesetzte Bilder vom Jüngsten Tag, wenn Gott kommt.“ Liegt darin die Glaubensstärke, das hohe Selbstbewusstsein gerade junger Muslime begründet? Jedenfalls könnte es zu denken geben - gegen den Unschuldswahn. Wenn aber der Lohn der Angst nur noch Angst kennt oder der Ausweg in religiös aufgeladene Gewalt mündet, wird die Floskel vom gegenseitigen Sich-Bereichern zur Illusion.

Schon vor Jahrzehnten war der Fundamentalismus - damals im Christentum - ein Modethema. „Regensburg“ erweckte den Eindruck, die Zeit sei stehen geblieben, jetzt nur unter anderem Vorzeichen, dem des Islam. Dieser Befürchtung versuchten muslimische Vertreter entgegenzutreten, indem sie die Extremisten der eigenen Religion kurzerhand als „unislamisch“ etikettierten. Leider treten bei den Veranstaltungen immer dieselben moderaten Muslime auf, während die draußen bleiben, die sich gewaltbereit als treueste Anhänger und Gläubige Allahs bekennen und die dies Tag für Tag rund um den Erdball mit Attentaten und Terror unter Beweis stellen: in Pakistan jetzt mit der höchsten Blasphemie-Anklagewelle gegen Christen, im Sudan mit einem staatlich-amtlichen Todesurteil gegen eine christlich verheiratete Ärztin … Ein Salafist wie Pierre Vogel im Kreuzfeuer auf einem Katholikentag - warum nicht?!

So aber durfte die sympathische Hannoveraner Religionswissenschaftlerin Hamideh Mohagheghi aus schiitischer Tradition wieder einmal beschwichtigen: „Ja, es gibt Elemente der Gewalt in unseren Quellen“, und natürlich gebe es extremistische Strömungen im Islam. Aber selbst im Salafismus habe man es mit sehr unterschiedlichen Gruppierungen und Auffassungen zu tun. Der Münsteraner Gelehrte Mouhanad Khorchide, der etwas weichgespült den Islam als Barmherzigkeit präsentiert und dem wegen „Häresie“ von den eigenen Verbänden die Lehrerlaubnis entzogen werden soll, saß ebenfalls nicht mit seinen innermuslimischen Gegnern an einem Tisch und konnte daher im Konflikt abwiegeln.

Katholikentags-Zuhörer sind höfliche, geduldige Menschen. Sie fallen ungern jemandem ins Wort, und sie fragen - meistens bloß über eingereichte Zettel - nur bei gesteigerter Ungeduld etwas schärfer nach, zum Beispiel, warum sich der hierzulande so friedvolle Islam eigentlich nicht eindeutig und energisch gegen die extremistischen Glaubensgeschwister profiliert und öffentlich positioniert. Und warum treten hiesige Muslime nicht für die christlichen Minderheiten in ihren Herkunftsländern ein? Aiman A. Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, eines für die Muslime keineswegs repräsentativen Verbandes, wich ebenfalls aus: Er selber sei doch Deutscher wie jeder andere im Raum. „Meine Möglichkeiten sind bescheiden.“ Als Deutscher könne er nur so viel tun wie jeder sonstige Bürger. Aber was tun die vielen, die die doppelte Staatsbürgerschaft - auch die türkische - besitzen für die Rechte der Christen in der Türkei? Auch diese Frage wurde nicht gestellt.

Ohne Geld keine Hisbollah

Der Islamwissenschaftler Marwan Abou Taam vom Landeskriminalamt in Rheinland-Pfalz äußerte sich deutlicher: „Jeder, der himmlische Wahrheiten verkauft, hat irdische Kosten.“ Organisationen, die einen gewalttätigen Islam fördern, erhalten massenhaft Geld, um ihre Ideen zu befördern. „Ohne Geldflüsse aus dem Iran gäbe es die Hisbollah nicht.“ Und die extremistischen islamischen Bewegungen bauen mit Spenden ein sozial-caritatives Imperium auf, das vor allem zornige junge Leute rekrutiert, manipuliert, gefangen nimmt. Die offiziell auftretenden islamischen Repräsentations-Institutionen seien nichts anderes als politische Verbände, die immer auf andere verweisen. Es gibt keine islamische Gemeinsamkeit, die religiös-theologisch übereinstimmend argumentiert, bedauert Abou Taam.

„Wir sind nicht neutral“

Wie viel Religion verträgt ein freiheitlicher Staat, eine religiös vielfältige, überwiegend bereits nichtgläubige Gesellschaft? Da bläst der öffentliche Wind inzwischen vor allem den Christen ins Gesicht. Während deren Amtsträger behaupten, nicht zuletzt über ihre kirchlichen Lobby-Repräsentanten bei Regierungen und Parlamenten noch starken gesellschaftlichen Einfluss zu haben, legt die Realität anderes nahe. Und selbst bei den Unionsparteien meinen bedeutende Historiker und Politikwissenschaftler feststellen zu können, dass sich das „C“ spätestens in einer Generation überlebt hat. Möglicherweise nährt ein Katholikentag, der früher einmal als Generalversammlung eine politische Manifestation des katholischen Verbandswesens war, mit seinem politischen Promi-Hopping nur noch Illusionen. Diese Art des Laienkatholizismus mit einem mehr oder weniger geschlossenen Milieu ist historisch überholt. Nicht wenige Christen zweifeln, wieviel Innovatives und Progressives aus ihren eigenen Reihen überhaupt noch hervorgeht, intellektuell in den kulturellen wie wissenschaftlichen Geistesprozess eingebracht wird, ja noch eingebracht werden kann. Auch beim Regensburger Katholikentag herrschten tendenziell apologetische Reflexe und Defensivhaltungen vor.

Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sprach sich getreu ihrer laizistischen Tradition für Religion als Privatsache aus. Deren Symbole hätten im öffentlichen Raum nichts verloren. Kirchliche Auffassungen müssten sich argumentativ dem freien Wettbewerb aussetzen. Die Juristin verwies die Glaubensgemeinschaften auf ihre ureigene Aufgabe: Statt über Bedeutungsverlust zu klagen, sollten sich die Kirchen selber einmal die Frage stellen, warum die Menschen derart auf Distanz gehen. „Hat man die richtigen Antworten?“ Die Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz erwartet wiederum mehr christliches Selbstbewusstsein: „Öffentlicher Raum ist unser Lebensraum.“ Da bringen wir unsere ganze Existenz mit ein. „Wir sind nicht neutral.“ Niemand ist das. Mit dem Kreuz sei Widerstand geleistet worden gegen die braune wie die rote Ideologie. Das Christentum habe Freiheit gebracht. Solche Werte eigneten sich nicht nur als Passform für einen bestimmten Fuß, sie seien ein Schuh, in den vieles passt, nicht nur das Christliche.

Wo aber „haben wir noch eine religionsfreundliche Darstellung in den Medien“?, fragte kritisch der Direktor der Münsteraner katholischen Akademie Franz-Hitze-Haus und Landtagsabgeordnete Thomas Sternberg. In Talkshows würden oft sehr einseitig ausgewählte Personen als typische Vertreter des Christentums präsentiert, die mit skurrilem Auftritt und exotischem Gehabe die Zuschauer reflexhaft geradezu abstoßen: Seht, wie einfältig, abartig, absurd dieser christliche Glaube und die Christen doch sind …

Anschauungsunterricht gab es auch in der Regensburger Altstadt: Nur wenige Meter neben der „religionsfreien Zone“ fundamentalistischer Kirchenhasser, deren „Argumentation“ sich auf plakative Beleidigungen der „dümmlichen“ Christen beschränkte, hatte sich der „Bote von Fatima“ angesiedelt. Wo derart Klischee zu Klischee kommt, hat christliche Aufklärung einen schweren Stand.

Das Programm war schon aufregender, der Dialog mit den Naturwissenschaften schon reger. In dieser Hinsicht wirkte „Regensburg“ provinziell. Ein Podium über Schwarze Löcher und Urknall glitt zeitweise ab auf eine recht anthropomorphe Sicht des Schöpfers Gott und seiner Freiheit angesichts der Freiheit des Menschen, wobei der Paderborner Theologe Dieter Hattrup, der sich auch als Gelehrter der Mathematik und Physik darstellte, eloquent die Klippen umschiffte und humorvoll manches Ablenkungsmanöver startete, indem er am persönlichen priesterlichen Berufungsweg meinte belegen zu können, wie Wissen und Glauben, Evolution und Reich Gottes, Vorsehung und Zufall angeblich wunderbar miteinander harmonieren.

Was „ist“, wenn nichts „ist“?

Die klassischen monarchisch-figürlich-personalen Gottesvorstellungen der Dogmatik mitsamt den biblischen Anschauungen „funktionieren“ angesichts dessen, was wir vom Universum und von der Evolution wissen, jedoch nicht mehr. So wie die Theo­re­tische Physik als reine Mathematik an den Grenzen der Empirie und bereits jenseits der Empirie das komplexe menschliche Gehirn in die Ohnmacht der Logik und an die Grenzen seiner Anschauungskraft führt, wäre auch die Theologie herausgefordert, mitten in den Paradoxien die Glaubens- und Gottesbilder radikal zu überprüfen: Niemand hat Gott je gesehen. Doch während das Falsifikationsprinzip, das auf Widerlegung des bisher als gültig Erkannten aus ist, überall sonst in den Wissenschaften gilt und Erkenntnisfortschritt ermöglicht, wird dies für die ewige Theologie einer dauerhaft definitiv abgeschlossenen christlichen Offenbarung ausgeschlossen.

Wenn es so etwas wie „Gott“ überhaupt geben sollte, dann muss er gedacht werden „als außerhalb von Raum und Zeit spielend“, deutete der Münchener Astrophysiker Gerhard Börner an. Er warf den Ball ins Spielfeld einer Vernunft, die keine Verstehensmöglichkeit entwickelt hat von einer „Zeit“ ohne Zeit, von einem „Raum“ ohne Raum, von der Singularität eines anfangslosen Anfangs, in dem alle Gesetze der Physik aufhören, von einem mathematisch existierenden nichtexistierenden Punkt absoluten Vakuums, in dem nichts ist, nicht einmal das Nichts, wo keine Logik, keine Gleichung, keine Anschauung heranreicht. Und wenn da nichts „war“ und nichts „ist“ - vielleicht außer Gott - warum und wozu dann überhaupt „Gott“? Da gerät nicht nur der Glaube ins Schwimmen. Da beginnen alle Fragen nach einem Warum ohne Warum. Börner deutete an, dass unsere Welt so unwahrscheinlich erscheint, weil sich Unwahrscheinliches an Unwahrscheinliches reiht, Zufall an Zufall, was stets neue Unwahrscheinlichkeiten erzeugt. Trotzdem ist die Welt da. Zufall? Was aber ist Zufall? Nicht einmal das können wir präzise sagen. Wenn angesichts der Physik der Schwarzen Löcher, in der vieles absonderlich, rätselhaft ist, das Wunder einer Verwandlung von Wasser in Wein einem Physiker nahezu als etwas Normales erscheint, gäbe es Anlass genug, das Reli­giö­se zu drehen und zu wenden, ohne Gott wieder zu einen Lückenbüßer zu machen, der auch da „nichts“ erklärt.

Köln ab 23 Uhr

Bei aller Fröhlichkeit, Frömmigkeit und Bewegtheit der fünf Tage Wallfahrts-Auszeit mit Heiligem, Beten, Liturgie, Essen und Trinken, Schauen und Schauenlassen scheint sich das Kirchen-Business as usual mit seiner Aufbruchsrhetorik und seinen Unterhaltungsthemen in Wiederholungen, im routiniert geschäftigen Treiben zu erschöpfen. Ökumene - nichts Neues. Das Zweite Vatikanische Konzil - ehrenwerte Rückerinnerung, aber Geschichte, passé. Gedenken der Befreiungstheologie - das war einmal brennend. Schwangerenkonfliktberatung - entschieden. Missbrauchsskandale - längst durchdiskutiert. Und die immerwährende Polit-Prominenz mit ihren standardisierten Reden über Werte, Menschenrechte und christliches Menschenbild lockt zwar weiter Scharen in überfüllte Säle, aber die Inhalte der Statements stehen in einem krass umgekehrtem Verhältnis zum Volumen des jeweils größtmöglichen Veranstaltungsraums. Es wäre an der Zeit, dass der Laienkatholizismus da endlich einen Schlusspunkt setzt.

Katholikentage der jetzigen Art sind weder - wie einst - eine Zeitansage, noch beschleunigen sie durch positive Beunruhigung den deutschen Katholizismus spirituell und intellektuell. Es handelt sich um gefällige religiöse Volksfeste mit Einsprengseln einer kirchlichen Volkshochschule. Jeder Besucher kann sich an dieser bunten Mischung aus Feiern, Exerzitien, Gottesdienst, Erbauung und Wissensauffrischung erfreuen und für den Alltag „auftanken“. Aber auch Regensburg bot dazu fast nur Konventionelles, wenig Experimentelles, was mitten in der Dramatik der gesamtgesellschaftlichen Glaubensabbrüche in die Zukunft weist. Zu einem religiösen Vergnügungspark, der Vorhandenes bloß aufgreift und Bekanntes bestätigt, sollten solche Treffen allerdings nicht mutieren. Auf die jüngste Versammlung trifft in gewisser Weise leider zu, was der Theologe Hans-Joachim Höhn in einem völlig anderen Kontext - über den Fundamentalismus - sagte: eine „moderne Antimoderne“.

Wo tiefer gebohrt wurde, blieb man im kleinen Kreis: Kaum dreißig Teilnehmer fanden zu einer spannenden Runde zusammen über Kirchen als kulturelle Leuchttürme in einer säkularisierten Gesellschaft. Warum eigentlich muss der Kölner Dom selbst im Sommer schon am frühen Abend schließen, wenn die vielen jungen Leute als Nachtschwärmer erst gegen 23 Uhr in die Stadt ziehen? Eine banale Frage, alles andere als banal. Jeder zweite Tourist besucht im Urlaub eine Kirche - und das viel lieber als Schlösser oder sonstige Sehenswürdigkeiten. Nichtglaubende sind fasziniert von sakralen Orten, ergriffen vom Raumgefühl, von der Architektur, vom Geruch, von der Klang-Atmosphäre der Stille, von Weihrauchduft und Kerzenlicht, von Projektionen bunter Glasfenster. Die Erfurter Pastoraltheologin Maria Widl beobachtet, dass selbst religiös Distanzierte die heiligen Räume ehrfurchtsvoll betreten. „Der Kirchenraum zieht den Blick automatisch nach oben.“ Während sonstige Bauten flach konstruiert sind und den Blick aufs Flache, Horizontale begrenzen, darf man im Kirchenraum in die Vertikale schauen und atmen. Das ist anderes, selbst wenn Banken und Konzerngebäude versuchen, Höhe, Weite und schwebende Massivität durch Glas, Stahl und Beton für den kapitalistisch-materialistischen Komplex nachzubilden. Der Kirchenraum entzieht sich einer bloß funktionalistischen Sterilität. Er ist „benutzter Raum“, mit einer Aura. In Kirchen darf man verweilen, ohne instrumentalisiert, ohne drangsaliert zu werden - anders als auf dem ökonomischen Markt, der zum Verweilen zwingen will.

Der Hannoveraner evangelische Theologe Ralf Hoburg schlägt eine Rückbesinnung vor: „Kirche, bleib bei dem, was du kannst.“ Man solle sich im Gotteshaus aufs Wesentliche konzentrieren: „das Heilige inszenieren, die Liturgie feiern“. Ähnlich verlangt der Berliner Dominikaner Thomas Eggensperger, sich neu darüber klar zu werden: „Was wollen wir mit unserer Kirche eigentlich machen?“

SAID - die Psalmen

Die vielleicht berührendste Veranstaltung des Katholikentags gelang mit einem Nichtglaubenden, der als Suchender unterwegs ist: Der iranisch-deutsche Dichter SAID las auf dem Schiff „Fürstin Gloria“ im leichten, sanften Tanz der Wellen aus seinen Psalmen: „Siehe, Herr, ich singe kein Lob für dich, denn ich suche dich …“ „Denn nur, wer an Dir zweifelt, sucht dich …“ „Herr, verbleibe stumm in Rufweite …“ „Vielleicht bist du nur ein Echo auf meinen Schrei …“ „Herr, ich weiß nichts von dir, und du bist doch mein Verlangen …“ „Gewähre mir einen Zwischenraum, einen wortlosen Raum der Nähe …“

„Der Katholikentag ist eine wunderbare Gelegenheit, die katholische Kirche sichtbar zu machen“, meinte der Münchener Kardinal und Bischofskonferenz-Vorsitzende Reinhard Marx. Das ist dem Treffen an der Donau allerdings nur bedingt gelungen. Der innere wie äußere Bedeutungsverlust des Katholizismus wie des Katholikentags wirkt sich auch auf die öffentliche Berichterstattung aus. Die Leitmedien haben sich gegenüber früher deutlich zurückgezogen, sich manchmal nur noch mit eher peripheren Beobachtungen begnügt. Die einstmals üblichen großen Leitartikel nach Abschluss fehlen weitgehend. „Regensburg“ sollte der Anlass sein zu einer entschieden kritischen Gewissenserforschung der Katholikentags„macher“, aber auch der Besucher: inwiefern in der eigenen kirchlichen Kultur der Glaube eher verschlossen - weil abgeschlossen - ist, statt ihn als Glauben freizulassen und hineinzubewegen in den großen Strom der großen Fragen, in die unaufhörliche Evolution des Geistes im Horizont der Welt­erfahrung. Glauben ist kein Substantiv, Glauben ist ein Verb. Wort und wortlos zugleich. Nicht Haben, nicht Sein, sondern Werden, Tag um Tag.

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