WachstumsdenkenDer große Tanz - auf dem Vulkan?

Das „Öko“-Schreiben des „Öko“-Papstes mit dem Namen des „Öko“-Heiligen Franziskus verweist schon vom Wortstamm her auf dieselbe „Haushälterschaft“ wie die Ökonomie. Eine Tagung der Kulturstiftung des Bundes fragte nach weiteren Zusammenhängen: zwischen Religion, Kultur und Wachstumsdenken.

Selbst ein Gewitterschauer kann die Menschen nicht vertreiben. Die Straßencafés, Bars und Stühle vor den Restaurants sind restlos besetzt. Auf den Partymeilen der Kölner Innenstadt herrscht Hochbetrieb an diesem frühsommerlichen Hitze-Wochenende. Junggesellen- und Junggesellinnen-Abschiede erwecken den Eindruck, als ob plötzlich die halbe Welt in „ming Stadt am Rhing“ heiratet. Der Partybus, der gemächlich über die Hahnenstraße fährt, ist ausgebucht. Weitaus mehr Aufsehen erregt die Stretch-Limousine, mit der ein Neureicher oder Möchte-gern-Bedeutsamer im schnellen Tempo die Neid-Blicke auf sich lenkt.

Im Groß-Raum der romanischen Basilika Sankt Aposteln nebenan hat sich allerdings nur ein über die Bankreihen verstreutes Grüppchen von zwanzig Leuten versammelt, um der Leere ein Gesicht zu geben. Der Pfarrer versucht, mit dem Tagesevangelium gegen die Kirchendepression anzupredigen: Beim Reich Gottes laufe es ab wie beim Senfkorn, „dem kleinsten von allen Samenkörnern“. Wenn es aufgeht, wird es „größer als alle anderen Gewächse“. So lautet die fromme Wachstumshoffnung: Vielleicht entdecke ein Mensch nach dreißig, vierzig Jahren religiöser Entfremdung und Keimfreiheit doch wieder den Glauben.

Während die einen gegen die geistigen Schwundprozesse wundersame Vermehrung beschwören, fragen sich andere besorgt, worauf das überbordende ökonomische Wachstum wohl noch hinauslaufen wird: auf den sozialen und ökologischen Kollaps? Nur wenige Schritte sind es vom Gotteshaus zum Haus des Kölnischen Kunstvereins, wo sich ebenfalls eine eher überschaubare Schar nachdenklicher Leute versammelt hat, um sich mit den Verheißungen der volkswirtschaftlichen Priester und Hohenpriester vom größtmöglichen Glück der größtmöglichen Zahl auseinanderzusetzen. Zu der dreitägigen internationalen Konferenz über Religion und Wachstumsdenken hatte die Kulturstiftung des Bundes eingeladen: „Ihr aber glaubet“. Was, wem, warum - noch?

Nach wie vor glauben nicht wenige Menschen - und Experten - den altehrwürdigen Meistern der Nationalökonomie und vertrauen deren Bekenntnis zur „unsichtbaren Hand“ des Marktes, die wie eine Geisterhand alles zum Besten steuert und aus dem „egoistischen“ Antrieb des Eigennutzes Wohlstand für viele hervorzaubert. Auch diesen mysteriösen Lenker hat - wie den transzendenten Lenker „Gott“ - noch niemand gesehen, was den Glauben an diese säkulare „Hand Gottes“ im Gegensatz zu den religiösen Zweifeln bisher jedoch nicht mindert, sondern im Gegenteil stärkt. Handelt es sich bei der Wachstumsverkündigung, die längst ein Rettungsprogramm nach dem anderen außerhalb des „freien“ Marktes zu dessen Subventionierung auflegen muss, womöglich um den größten Glaubensbetrug aller Zeiten, das bedeutendste Opium des Volkes zu Beginn des dritten Jahrtausends?

Die „unsichtbare Hand“

Wenn Wissenschaftler sich selber - süffisant, ironisch, ehrlich - hinterfragen, ist das wiederum glaubwürdiger als jedwede Besserwisserei von außen, insbesondere von solchen, die Konkurrenz im Wettbewerb um das Anbetungswürdige fürchten wie die Kirchen. Der unter anderem an der Prager Karls-Universität lehrende Tomáš Sedlácek, Chefvolkswirt einer der größten tschechischen Banken und Politikberater, lässt das wirtschaftswissenschaftliche Spiel als einen bisher höchst erfolgreichen Zirkelschluss durchschauen. Oder anders gesagt als erstaunlichen Bluff: Denn man gehe von Vermutungen aus, die man dann mathematisch - also quasi unfehlbar - berechne, um damit den Beweis zu präsentieren für das, was man bereits eingangs angenommen hat. Warum aber wurde die dramatische Finanzkrise nicht vorausgesehen? Hat sich die Mathematik vertan, der Computer - oder hat sich doch nur der Mensch von seinen Wunschvorstellungen blenden lassen? Für Sedlácek ist klar, dass die Wirtschaftswissenschaft selber Normen setzt, diese aber objektiv „mathematisch“ verschleiert. Dabei wird der Markt geradezu „hypostasiert“, zu einer Art imaginären Person hochstilisiert. In den Markt darf man sich nicht einmischen, lautet die damit verbundene „ethische“ Warnung. „Der Markt mischt sich aber in uns ein“, so Sedlácek. In einem vermeintlich post­ideologischen Zeitalter bauen wir unsere Existenz auf wirtschaftliche Glaubenssätze. Da - so der Gelehrte - „glauben wir nicht zuwenig, sondern zuviel“.

Dennoch: „Wir brauchen nicht weniger Märkte, sondern bessere Märkte, nicht weniger Wachstum, sondern besseres Wachstum.“ Das wünscht sich der schottische Management-Theoretiker Philip Roscoe. Er verweist darauf, dass inzwischen bereits Märkte einer neuen Dimension entstehen, die ohne jedwede Eigenproduktion auskommen. Der einstige Suchmaschinenkonzern Google profitiert davon, die Inhalte anderer schlichtweg abzugreifen und zu präsentieren. „Statt Gold sind es heute Daten, die reich machen.“ Online-Datingbörsen belegen bereits: „Das letzte Handelsgut sind wir selbst.“

Weitgehend verdrängt wird in den Debatten der Fachleute, was in nahezu alle Verfassungen der Welt eingeschrieben ist: Wirtschaftliches Handeln soll dem Gemeinwohl dienen. Der österreichische Attac-Aktivist und Initiator des Projekts einer „Bank für Gemeinwohl“ Christian Felber stellt fest: „Konkurrenz basiert auf Angst.“ Als Motor menschlicher Entwicklung könne das jedoch nicht dauerhaft funktionieren. Konkurrenz braucht Kooperation. Neben der „unsichtbaren Hand“ des Marktes fehle eine „sichtbare Hand“, die misst, was Unternehmen zum Gemeinwohl beitragen.

Krisen - bloß Programmierfehler?

Mit individualistischem Moralisieren kommt man jedoch nicht weiter, vermutet der in Witten/Herdecke tätige Philosoph und Volkswirtschaftler Birger P. Priddat. Das moderne, hochkomplexe Wirtschaftsleben gründet auf einer Systemdynamik, die den Einzelnen überfordert, die Folgen seines Handelns abzuschätzen. Das Moralische sei in demokratischen Staaten vielmehr in Recht und Politik verankert, in Institutionen, die den Einzelnen entlasten und durch ihre Steuerungsfunktionen die Systeme stabilisieren. Sind ökonomische Krisen in erster Linie demnach womöglich bloß Programmierfehler sich selber programmierender Systeme, in einem Reich der „Freiheit“ und „Unantastbarkeit“ jenseits von Entscheidungsträgern, die allenfalls bloß zuschauen können? Institutionalisierung zur Entmachtung der Politik? Da alle Prozesse nach Priddat „systemisch“ ablaufen, übersteigen sie jedes Individuelle. „Die Krise der Moderne besteht darin, dass wir zuwenig Institutionen haben.“ Oder sind es doch zuwenig kritische und selbstkritische Personen?

Unternehmer beklagen zu viele Regulierungsmechanismen und bürokratische Diktate, die Selbststeuerungskräfte blockierten. Machen weitere Institutionen das besser? Beim Versuch zur Griechenland-Rettung sind ja bereits viele Institutionen global angefragt und beteiligt. Warum nur haben sie im Vorfeld das systemische Versagen nicht erkannt und ausgeschlossen?

Fragen fallen leichter als Antworten. Auch das Wirtschaftsleben kennt das Prinzip: „Nachher ist man immer schlauer.“ Aber nachher ist vorher. Und die aktuelle Geldschwemme auf dem Markt weckt nicht den Eindruck, aus dem Hochrisiko-Debakel gelernt zu haben. Im Gegenteil: Inzwischen wird mit undurchschaubaren, gefährlichen Finanzprodukten noch mehr gehandelt als vorher. Der einstige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank Josef Ackermann beobachtet seltsame Entwicklungen, die mit den klassischen Rechnungen nicht mehr übereinstimmen: Zurzeit seien Unmengen an Geld auf den Markt gepumpt, „doch niemand will Kredite“. Wir haben Angst vor einer Deflation, doch üblicherweise würden solche Geldmengen eine gigantische Inflation anheizen. Statt in Investitionen fließt das Geld in Vermögenswerte. Die Realwirtschaft profitiert davon nicht, die Produktion steigert das nicht. Stattdessen entsteht eine neue Preisblase bei Aktien.

Viel Geld, das nicht produziert

Einst war Geld nur eine Art Tausch-Ersatzmittel, ein Äquivalent, um mit Waren flexibel zu handeln. Davon hat es sich losgelöst. Es ist selber zur Handelsware geworden, Gegenstand des Kaufens und Verkaufens, das sich darüber wundersam selber vermehren, „arbeiten“ soll. Doch handelt es sich um einen bloß fiktiven Wert, um einen eingebildeten „Schatz“, der so lange Bestand hat, solange alle an ihn glauben und möglichst viele mit ihm handeln in der Hoffnung, dass den Letzten die Hunde beißen - und dass man schlauer, schneller und trickreicher ist als die anderen, oder die Computer der anderen. Das meiste Geld der Welt „gibt“ es ohnehin gar nicht. Es steht nur in „Büchern“. Es lagert nicht materiell im Safe, sondern digital als Speichercode auf Servern.

Das „ewige Geld“, das „verdammte Geld“. Jeder will es, doch nicht jeder bekommt es. Der Wirtschaftswissenschaftler Hans Christoph Binswanger von Sankt Gallen, einer der bedeutendsten Fachleute für Geldtheorie, bemerkt, dass wir den „Ewigkeitswert ins Diesseits holen“ wollen. Die Religionen hingegen belassen ihn realistischerweise im Jenseits. Im Diesseits geht der massivste Wachstumszwang, um „Ewigkeitswerte“ zu erlangen, heutzutage von den Aktiengesellschaften aus. Wachstum ist dann vor allem dazu da, die Aktien höher bewerten zu lassen. Binswanger möchte den Übertreibungen und Spekulations-Aufblähungen dadurch vorbeugen, dass ein erheblicher Teil der Aktien auf eine Laufzeit von vielleicht dreißig Jahren begrenzt und dann einzig zum Nominalwert zurückgekauft wird. Das würde - so seine Hoffnung - wieder den eigentlichen Sinn der Aktien befördern, Anteilsscheine zu sein, mit denen Leute Geld für Investitionen zum realwirtschaftlichen Produzieren zur Verfügung stellen. Geld also nicht um des Geldes, Aktienkurse nicht um der Aktienkurse willen. Über die institutionellen Anleger werden inzwischen gigantische Summen „eingesammelt“, ohne dass die „Sammler“, insbesondere die Versicherungsgesellschaften, selber produktiv produzierend tätig sind. Sie müssen nur schauen, wo sie mehr Geld für das ihnen anvertraute Geld erhalten, ein Risikospiel. Denn irgendwo, irgendwann liegen rein physikalisch die Grenzen des Wachstums, weil sich Systeme nicht aus sich selber vermehren können. Der große Tanz ums Goldene Kalb Wachstum scheint ein Tanz auf dem Vulkan zu sein. Die Gelehrten wissen es, das Volk aber scheint es nicht zu wissen oder nicht wissen zu wollen.

Der Himalaya in Köln

Natürlich ist es rührend, wenn machtvolle und unvorstellbar begüterte Finanzleute wie Ackermann sich selber als Getriebene sehen und bekennen, dass ihnen persönlich Geld gar nicht so viel bedeutet, dass die Menschen eigentlich doch „nach guten Gesprächen dürsten“. Im intellektuellen wie populären Gespräch haben es Theologen, Philosophen oder Künstler jedoch schwer, wirtschaftswissenschaftlich sowie politisch Gehör zu finden, ernstgenommen zu werden, wenn sie auf die nichtökonomischen Faktoren der ökonomischen Existenz verweisen. Zum Beispiel darauf, dass es neben der vermeintlichen Rationalität des wirtschaftswissenschaftlich faktisch Irrationalen auch eine authentische Irrationalität des existenziell Rationalen gibt, das als Korrektiv von „Sachzwängen“ jedoch abgewertet wird, wohingegen volkswirtschaftliche Sonntagsweisheiten und Sonntagspredigten leichtgläubig oder schon abergläubisch als Dogma hingenommen werden.

Die Allmacht des Systems und die angebliche Ohnmacht der Entscheidungsträger sind einer dieser anscheinend unumstößlichen Glaubenssätze, mit dem sich der Philosoph Volker Gerhardt von der Berliner Humboldt-Universität jedoch nicht abfinden will. Denn gerade durch das Individuum und über seine Individualität entwickle sich - oft in Einsamkeit - jenes kritische Glauben, das die entscheidenden Kräfte sammelt und freisetzt gegen den Aberglauben: Widerstand gegen das Unrecht auch systemischer Art. Gerhardt verweist auf die vielen Märtyrer des Gewissens, die nicht selten in Gefängnissen sitzen, weil sie aufbegehren, der vermeintlich unumstößlichen Wahrheit von Regimen wie Systemen unbequem, ja gefährlich geworden sind dank besserer Einsicht. „Glauben ist entstanden als eine notwendige Ergänzung zum Wissen“, weil das Wissen selber nicht alles erklärt, wie Gerhardt belegt. „Wir werden die Natur nicht los. Aber wir sind in der Lage, aus der Natur Kultur zu machen.“ Dazu gehört lebensnotwendig das Glauben, die tiefe Begründung in einem Sinn, der allem sonstigen Sinn - auch dem des Wirtschaftens - Sinn gibt. Ohne die Sinnfrage würde der Mensch sich einen wesentlichen Teil seines Seins amputieren.

Natürlich soll sich Glauben vor Arroganz hüten. Er hat keine Gewissheit darüber, wie sich die Welt weiterentwickelt. Aber im Glauben könne man - so Volker Gerhardt - Stärke finden, in der Flut von Neuem nicht alles mitzumachen, nicht auf jeden Zug aufzuspringen. Gegen eine Arroganz der Ökonomie, die meint, ihr Wissen sei in sich bereits das bessere Wissen, ist das Korrektiv aus Glauben und im Glauben berechtigt und notwendig. Dabei vertraut Gerhardt mehr der glaubenden Einsichtsvollmacht und Überzeugungsvollmacht von Einzelnen als der Lobbyismuspropaganda von Gruppen - und seien es die Kirchen.

Möglicherweise lässt sich da ein interreligiöses Verstehen und Verständigen anbahnen, wie die Paderborner islamische Theologin und Kulturwissenschaftlerin Hamideh Mohagheghi andeutet: „Der Weg der Entwicklung ist offen.“ Jeder Mensch sei nur ein kleiner Teil dieser Welt. Hier habe man allenfalls begrenzte Möglichkeiten. „Aber um diesen Weg zu gehen - da kann einem der Glaube helfen“.

Die Forderung nach Korrektur, Umkehr ist nicht ein idealistisches religiöses Konstrukt, bar jeden Realitätssinns. Daran erinnert der seit vierzig Jahren in Indien lebende Publizist, Literaturwissenschaftler und Übersetzer bedeutender indischer Autoren Martin Kämpchen. Als einziger „Vertreter“ der „Armen“ bei der Kölner Veranstaltung erklärt er, es gebe ja längst massenhaft Wachstum etwa in Indien, der nach China zweitstärksten Wachstumsnation der Welt. Dennoch kommt dieses Wachstum eben nur einer gewissen Mittelschicht zugute. Bloß ein Systemfehler? Da könne doch niemand behaupten, der Markt regele alles aus eigener Dynamik. Gesundes Wachstum braucht - davon ist der ursprüngliche Theaterwissenschaftler überzeugt - auch geistiges Wachstum. Und womöglich doch auch bei den Reichsten: materiellen Verzicht. Die befürchteten Katastrophen inflationären Wachstums seien ja längst eingetreten, zum Beispiel die Gletscherschmelze im Himalaya, die Überflutungen infolge von Abholzung. Darauf die lakonische Bemerkung des Chemikers, Molekularbiologen und Direktors des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung Reiner Klingholz: „Aber sehen Sie hier in Köln den Himalaya?“ Da liegt das Problem, in der geistigen Wahrnehmung der Vielen.

Führt Verzicht zum Kollaps?

Global denken, lokal handeln. Anders leben, damit andere überleben. Das waren einmal Schlagworte gegen den Wachstumsfetischismus, den viele Ökonomen auf ein Desaster hinauslaufen sehen, ohne geprüfte alternative Konzepte vorlegen zu können. Heißt die Übergangslösung: systemisch denken - trotzdem individuell handeln? Wenn viele Menschen hierzulande auf zwanzig bis dreißig Prozent ihres Wohlstands verzichten würden und damit trotzdem gut leben, sei das ganz in Ordnung. Aber wenn ganze Gesellschaften ihren Konsum derart einbremsten, wäre der Systemkollaps unausweichlich, befürchtet Klingholz. Trotzdem sei es kein Weg, Wachstum zu erzwingen und dafür Schulden zu machen, die Folge-Generationen nicht durch weiteres Wachstum bezahlen können.

Für den Lübecker evangelischen Pfarrer Thomas Baltrock hilft das bloße Theoretisieren der Einfallslosigkeit nicht weiter: „Es geht um die individuelle Erfahrung von Krise, dass man beginnt, sich umzustellen.“ Dabei sollten sich die Kirchen mit der üblichen selbstgerechten Moralisiererei jedoch zurückhalten. Denn: „Bei uns sprudeln momentan die Geldquellen ohne Ende.“

Gott und der Kapitalist

Unter den pragmatischen Wirtschaftswissenschaftlern haben es Theologen naturgemäß schwer, ihre eigenen Plausibilitäten vorzutragen, und seien sie noch so biblisch. Der Paderborner Klaus von Stosch versucht trotzdem, an jene Einsichten zu erinnern, die zumindest für religiöse Menschen einen Ewigkeitswert haben: „Die Gabe Gottes zerstört die Tauschlogik.“ Sie bringt auch die „Logik des Marktes durcheinander“, weil in der Logik der Liebe der Mensch etwas grundlos geschenkt erhält, das er weitergeben kann. Möglicherweise steckt in dieser religiösen Erkenntnis mehr realpolitischer Wert, als man ihr zutraut.

Schlussendlich ist es der Tod, der allen unausweichlich droht - auch den Systemen. „Am Tod zerschellt alle Freiheit, alle Gestaltungsmacht“, so die Kölner Theologin Saskia Wendel. „Vielleicht ist das Christentum deshalb eine zutiefst melancholische Religion“, weil sie den Riss im Dasein zwischen dem Verlaufen der Zeit und der Ewigkeit heftig verspürt und dennoch an Hoffnung auf Befreiung, Erlösung, Heil und Heiligung festhält - mit Relevanz für diese Zeit.

Das berührt auch die mystisch-islamische Tradition, wie sie der Münsteraner Theologe und Religionsphilosoph Ahmad Milad Karimi erläutert, unter anderem mit einem Hinweis auf den Mystiker Rumi (13. Jh.): „Unser Tod ist unsere Vermählung mit der Ewigkeit.“ Doch Gott tritt selber aus seiner Ewigkeit heraus mit seiner dauerhaft aktuellen Schöpfermacht, die das Konkrete bewegt. „Beständig ist er in seiner Prozessualität … Gott ist ewige Bewegtheit“, so der Philosoph in paradoxen Formulierungen, die aus der Unendlichkeit in die Zeit weisen. „Die Ewigkeit Gottes ist keine leere, sondern eine schöpferische.“ Diese bewegt auch den Menschen, sein Geschöpf. Das Schöpferische aber zielt nicht auf Wachstum, sondern - so Karimi - „auf Teilung“. Die Lebenszeit dient in diesem Sinn der Gerechtigkeit. „Der religiöse Mensch tut so, als hatte er längst das Geld, wonach die Kapitalisten erst streben.“ Jesus sei ein solcher Mensch, der das vorbildlich gelebt habe. Möglicherweise hat die Wirtschaft, haben die Glaubenden und unter ihnen die Christen diese Weisheit des Religiösen als Sinn ihres eigenen Handelns verdrängt.

Wirtschaften gründet nicht bloß auf Natur. Kultur erst macht es menschlich. Die New Yorker Kulturwissenschaftlerin Marcia Pally traut da den Menschen weiterhin viel zu, sich auf einen gemeinsamen Grund auszurichten, auf eine „Quelle allen Seins“, aus der jeder schöpft, ob bewusst oder unbewusst, ob religiös oder nichtreligiös.

Das Individuum Mensch ist und bleibt ein Gemeinschaftswesen - mehr und mehr eben auch in globalen Zusammenhängen. Pally verweist auf Karl Rahner und sein Verständnis von „Einheit in der Vielfalt“ angesichts des unaussprechlichen Geheimnisses Gott. Woher kommen die „Rahmen“, aus denen und in denen wir leben? Für Pally: aus solcher Seinsquelle, für religiöse Menschen aus dem Gottesbezug.

Dass die deutsche Kulturstiftung diesen Zusammenhang von Wirtschaft, Sein und Zeit und Religion genauer zu beleuchten versuchte, wäre ein Angebot vielleicht auch einmal für die „Macher“ von Politik und Ökonomie und nicht nur für die „Theoretiker“. Nachdenklichkeit auslösen - wer organisiert dies beim Volk? Wirtschaften ist kein Schicksal anonymer Mächte. Es ist Menschenwerk, durch Entscheidungen von Menschen gemacht, die sich oft genug irren, aber sich und die Systeme auch korrigieren können, nach bestem Wissen und Gewissen - und auch mit einem geprüften Glauben.

Der Berliner Kulturhistoriker Thomas Macho gibt zu bedenken, dass die meisten Unterbrechungen des Wachstums und der Schuldenspiralen von Generation zu Generation durch Kriege bewirkt wurden. Die Frage an uns sei, ob und wie wir andere, humane Unterbrechungen finden. Womöglich doch über „Religion“, deren kürzeste Definition nach Johann Baptist Metz lautet: „Unterbrechung“? Macho jedenfalls ist sich in einem sicher: „Unendliches Wachstum in einer endlichen Welt geht nicht.“

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