Jahr der OrdenNur wer sich wandelt, bleibt prophetisch

Nach dem "Jahr der Orden" spricht Papst Franziskus von einem "Erfolg". Welt und Kirche wäre es zu wünschen.

Wem ein Themenjahr gewidmet wird, um den steht es meistens nicht gut. Gerade ging das „Jahr der Orden“ zu Ende, und Papst Franziskus spricht von einem „Erfolg“. Welt und Kirche wäre es zu wünschen.

Als der „Spiegel“ im April 1979 den „Niedergang der Orden“ kommen sah, meldete sich Karl Rahner noch einmal eindrucksvoll zu Wort. Dass das Hamburger Nachrichtenmagazin behauptete, die Orden spielten in Wissenschaft, Kunst und Theologie „kaum noch eine Rolle“ und die evangelischen Räte von Armut, Keuschheit und Gehorsam seien nur noch eine „Farce“, wollte der große Theologe so nicht stehen lassen. Wahrscheinlich fühlte er sich auch herausgefordert, weil der „Spiegel“ schrieb, Rahner habe sich mit damals 75 Jahren „aufs Altenteil“ zurückgezogen …

Seine Antwort auf den Artikel des Magazins ist jedenfalls immer noch mit Gewinn - und dank der sprachlichen Brillanz sogar mit Genuss - zu lesen. Auch er könne nicht in die Zukunft sehen, räumte der Jesuit ein. Es gebe aber in der Geschichte genügend Beispiele dafür, „welche Lebenskraft gesellschaftliche Einrichtungen haben, deren Untergang schon längst von gescheiten Leuten prophezeit wurde.“

Gerade die Orden hätten schon ganz andere Zeiten überstanden, etwa nach der Französischen Revolution. Von daher empfahl Rahner den „gescheiten Leuten“ beim „Spiegel“, mit ihren Prognosen vorsichtiger zu sein. Ans Ende seines Textes stellte er eine rhetorische Frage. „Was hätte der ‚Spiegel‘ im Jahr 100 über die Zukunft des Judentums prophezeit?“ Die Antwort, süffisant als Frage verkleidet, gab Rahner selbst: „Hätte er scharfsinnig und weise erklärt, dass die Juden nach Verlust ihrer geografischen Basis und ihres Tempels in spätestens zweihundert Jahren … spurlos verschwunden sein würden wie viele andere Völker auch?“ Es stimmt tatsächlich: Das Ordensleben wurde schon oft totgesagt beziehungsweise totgeschrieben - und dennoch hat es überlebt. Eine Garantie für die Zukunft ist das freilich nicht. Die Stärke des kurzen Artikels von Karl Rahner liegt darin, dass er weit mehr ist als nur ein trotziges „So nicht“. Er besticht vielmehr durch seine klare Analyse, die auch offen die Mängel und „Schwunderscheinungen“ benennt. Rahners Überzeugung war klar: Orden gehören „zum Wesen der Kirche“, und vieles von ihnen wird „immer bleiben“. Doch damit das so ist, seien sie herausgefordert, sich zu wandeln, sich stets neu zu erfinden. Karl Rahner dachte in seinem Text etwa über „Formen eines nichtzölibatären Lebens“ nach, „die das bleibende Wesen des Ordenslebens in bisher ungewohnten Weisen darstellen“. Auch von „neuen charismatisch von unten her aufbrechenden Lebensgemeinschaften“ sprach der Ordens­theologe - das ist heute ja tatsächlich zu beobachten.

„Klösterreich“ in winterlicher Zeit

Genauso wichtig wie neue Entwicklungen sei aber auch, sich von manchem zu verabschieden. Erneut sprachlich glänzend spitzte Karl Rahner dies in der Frage zu, „ob nicht bestimmte kleinere, nicht mehr in die Zeit passende Ordensgesellschaften dadurch eine letzte heroische Tat vollbringen könnten, dass sie zu existieren aufhören oder sich mit lebendigeren Gemeinschaften vereinigen“. Ähnlich deutlich hatte das ein paar Jahre früher Johann Baptist Metz formuliert, als er in „Zeit der Orden?“ manchen Gemeinschaften die „Geistesgabe einer ars moriendi“, also einer „Kunst zu sterben“, wünschte: „Vermutlich gibt es die ars vivendi, die Kunst eines radikalen Neuanfangs, sowieso nicht ohne die Praxis dieser ars moriendi. Denn sie ist es, durch die wahrhaft Neues und die Krise Wendendes überhaupt erst in den Blick kommt - falls es sich nochmals zeigen sollte.“

Fast vier Jahrzehnte ist es her, seit diese Texte erschienen sind. Und wenn Karl Rahner seine Kirche und speziell die Orden bereits damals in „winterlicher Zeit“ sah, ist es inzwischen sicher nicht wärmer geworden. Immer weniger Menschen, zumindest im Westen, spüren die Berufung für das geweihte Leben, für eine Existenz in Armut, Keuschheit und Gehorsam. Dass Orden und Kongregationen gegen diesen Trend in manchen Teilen der Welt Zuwachs verzeichnen, etwa in Asien und Afrika, hat andere, man darf vermuten: bisweilen auch wirtschaftliche, soziokulturelle (Status-)Gründe.

Mehr als zwei Drittel aller katholischen Ordensleute sind Frauen. Und gerade bei ihnen sind die Einbrüche dramatisch. Ende 2014 lebten laut Statistik der deutschen Ordensoberenkonferenz etwas mehr als 17?500 Ordensfrauen in Deutschland. Seit 1995 hat sich ihre Zahl mehr als halbiert. Auch Österreich ist vor allem nur noch Dank der historischen Gebäude das sprichwörtliche „Klösterreich“. Dort gab es zum selben Zeitpunkt knapp 3800 Ordensfrauen. In der Schweiz waren es Ende 2013 - das sind in dem Fall die aktuellsten Zahlen - immerhin fast 4700 weibliche Ordensangehörige.

Besonderen Anlass zur Sorge gibt die Altersstruktur. 84 Prozent der Ordensfrauen in Deutschland sind älter als 65 Jahre, in Österreich sind es gut 78 Prozent. Die Überalterung hat Folgen: Häuser müssen aufgegeben werden, immer weniger Ordensfrauen sind in der Öffentlichkeit zu sehen, tragen aktiv die Arbeit in Krankenhäusern, Schulen oder Suppenküchen. Regelmäßig präsent sind „Ordensleute“ fast nur noch im Fernsehen, etwa in der erfolgreichen ARD-Spielfilmserie „Um Himmels willen“. Die Reihe gibt es seit 2002, derzeit läuft die fünfzehnte Staffel. In den Filmen werden Ordensfrauen zwar durchaus sympathisch gezeichnet. Dass sie so beliebt sind, hat aber wohl vor allem damit zu tun, dass der Zuschauer mit ihnen jemanden zu sehen bekommt, den er aus seinem Alltag nicht mehr kennt. Es handelt sich also gewissermaßen um „katholische Exotik“, die noch dazu nicht weltfremd bigott erscheint, wie es das Klischee nahelegt, sondern bodenständig, natürlich, mit klarem Menschenverstand.

Lebensweise, Gebet und Arbeit

Der Abbruch des Ordenslebens ging seit Karl Rahner weiter und hat an Dynamik noch zugenommen. War der Theologe vielleicht doch zu optimistisch, als er sagte, er sei überzeugt, „dass die Kirche nicht untergehen wird und dass das christliche Leben, das die Orden in der Kirche leben wollen, … in dieser Kirche weiterbestehen wird“? Wahrscheinlich gilt eher das Gegenteil: Die Entwicklung bestätigt gerade den zweiten Teil von Rahners These, wonach es eben den Wandel, die Erneuerung und auch den Abschied braucht, damit die Orden eine Zukunft haben. Diese Veränderungen, so lässt sich dann weiter folgern, sind bisher nicht entschieden genug angepackt worden.

Ist Papst Franziskus jemand, der im Sinne und im Stil Karl Rahners die Kirche und die Orden aufrütteln kann? Ein gewisser Gleichklang lässt sich durchaus erkennen. Papst Franziskus steht den Orden nahe. Er ist Jesuit wie Rahner, mit der Wahl seines Papstnamens würdigte er zudem eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Ordensgeschichte, einen kirchlichen Reformer. Als er sich zu Beginn des Themenjahres in einem Apostolischen Schreiben an die Ordensleute wandte, formulierte er es so: „Ich schreibe an euch als euer Bruder, der wie ihr Gott geweiht ist.“

Franziskus I. will starke, lebendige Orden. „Ihr sollt euch nicht nur einer glanzvollen Geschichte erinnern und darüber erzählen, sondern ihr habt eine große Geschichte aufzubauen“, zitiert er seinen Vorvorgänger, Johannes Paul II. Für diese Zukunft aber ist es wichtig, dass es mit der Reform des Ordenslebens vorangeht. Geredet wird darüber, wie bei anderen kirchlich brisanten Themen, ja schon seit Jahrzehnten. Bereits Pius XII. bemühte sich darum. Ein wichtiger Meilenstein für die „zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens“ war dann das Dekret „Perfectae Caritatis“ („Das Streben nach vollkommener Liebe“), das 1965 in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils erschien. Darin hieß es: „Lebensweise, Gebet und Arbeit müssen den körperlichen und seelischen Voraussetzungen der Menschen von heute, aber auch … den Erfordernissen des Apostolats, den Ansprüchen der Kultur, der sozialen und wirtschaftlichen Umwelt entsprechen.“ Das bedeutet nichts anderes als: Die Orden müssen sich wandeln, damit sie bleiben. Andernfalls gilt, da wurde das Dekret auffallend deutlich: „Instituten und Klöstern, die … kein fruchtbares Wirken mehr erhoffen lassen, soll die weitere Aufnahme von Novizen verwehrt werden. Soweit möglich, sind sie mit einem anderen, lebenskräftigeren Institut oder Kloster … zu vereinigen.“

Und es ist ja nicht so, dass nichts passiert wäre. Viele Gemeinschaften haben sich verändert, die Ordenslandschaft sieht heute anders aus. Auch in einer Gemeinschaft mit abnehmenden Mitgliederzahlen könne sich „eine erstaunliche Lebendigkeit“ zeigen, findet Alois Riedlsperger, zuständig für die Ordensentwicklung der österreichischen Jesuiten. Er sprach im vergangenen Frühjahr in Vallendar bei der wohl einzigen größeren theologischen Fachtagung zur Thematik des Ordensjahres im deutschen Sprachraum. In seinem Referat - ein Sammelband der Tagung erscheint demnächst unter dem Titel „Wind of Change? Orden im dritten Jahrtausend“ (Herder) - nannte er zahlreiche Beispiele, wie sich Ordensleute heute an den „Rändern“ engagieren, etwa in der Flüchtlingsarbeit, gegen Menschenhandel oder im Hospizdienst.

Keine „nutzlosen Nostalgien“

Aber es werden bis heute immer wieder auch Zweifel an der Reformfähigkeit der Orden formuliert. Ein für Mai vergangenen Jahres in Berlin anberaumtes Treffen von Ordensleuten - die „deutschlandweit zentrale Veranstaltung zum Jahr der Orden“ - kam nicht zustande. Der Dominikaner Ulrich Engel, Professor für philosophisch-theologische Grenzfragen in Münster, ging daher mit den Verantwortlichen hart ins Gericht. In der „Herder-Korrespondenz“ schrieb er: „Die verzagte Absage des ersten bundesweiten Ordenstreffens zeugt … von bürokratischer Verwaltungsmentalität, risikominimierendem Sicherheitsstreben und kaum verhüllter Dialogunfähigkeit.“ Sind manche Orden immer noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt?

Wie in anderen Bereichen wünscht sich Franziskus I. jedenfalls auch bei den Orden mehr Dynamik. In seiner charakteristischen, nach vorne drängenden Art hält sich Franziskus auch hier nicht lange mit der Rückschau auf. Die Orden sollten zwar durchaus dankbar auf die eigene Vergangenheit blicken. Doch gehe es „nicht darum, Archäologie zu betreiben oder nutzlose Nostalgien zu pflegen“, schrieb Franziskus zu Beginn des Aktionsjahres.

Haltung statt Werbung

Und auch bei der Ursachenforschung geht der Papst fast ein wenig hemdsärmelig vor. „Die Schwierigkeiten, denen das geweihte Leben in seinen verschiedenen Formen entgegengeht, sind uns bekannt“, heißt es knapp in dem Schreiben. Jetzt formulierte er bei einem Treffen mit Ordensleuten durchaus lebensnah: Auch ihn betrübe der Rückgang bei den Berufungen, „wenn ich die Bischöfe empfangen muss und frage, wie viele Seminaristen sie haben, vier oder fünf, oder wenn die Klöster einen oder zwei Novizen haben und immer älter werden, immer älter, immer älter.“

Typisch Franziskus, möchte man sagen, rief er aber sogleich auf, „nicht der Versuchung der Zahlen und der Leistungsfähigkeit“ nachzugeben. Ebenso warnte er vor einem falschen Aktionismus. „Einige Kongregationen machen so etwas wie ‚künstliche Befruchtung‘ und nehmen alle auf, die kommen“, kritisierte er: „Und dann kommen die Probleme gleich mit.“ Zu Beginn des Ordensjahres hatte er geschrieben: „Das geweihte Leben erfährt keinen Zuwachs, wenn wir schöne Berufungskampagnen organisieren, sondern wenn die jungen Menschen, die uns begegnen, sich von uns angezogen fühlen.“ Damit ist Franziskus bei einem seiner zentralen Themen. Christen allgemein und Ordensleute im Besonderen müssten an ihrer Haltung erkennbar sein: Freude in Christus ausstrahlen.

Warum überhaupt wünscht sich Franziskus starke Orden? „Ich erwarte, dass ihr „die Welt aufweckt“, schreibt er den Ordensleuten, „denn das Merkmal, das das geweihte Leben kennzeichnet, ist die Prophetie.“ Eine Erwartung und eine Zuschreibung, die kaum größer zu denken sind. Die Orden sollten Gegenentwürfe erfahrbar machen zu „einer Gesellschaft, die den Kult der Leistungsfähigkeit, eines übertriebenen Gesundheitsbewusstseins und des Erfolgs zur Schau stellt, während sie die Armen ausgrenzt und die ‚Verlierer‘ ausschließt“. Orden sollten „andere Orte“ schaffen, „wo die Logik des Evangeliums gelebt wird.“ Natürlich fehlt auch nicht die Ermahnung, an die Ränder zu gehen …

Den prophetischen Weckruf, so darf man annehmen, soll auch die Kirche vernehmen. So ausdrücklich geht Franziskus nicht darauf ein, weil es ihm - im guten Sinne - nicht um die Kirche als solche geht. Doch auch hier hat sein Ordensbruder vierzig Jahre früher ein wegweisendes Wort geschrieben. Orden müssten, so Karl Rahner, „die Funktion einer kritischen Alternative gegenüber einer verbürgerlichten Kirche … erfüllen können.“ Orden seien eine „Schocktherapie des Heiligen Geistes für die Großkirche“, hatte es Johann Baptist Metz formuliert.

Nun ist das „Jahr der Orden“ vorbei. Papst Franziskus hat eine erste, positive Bilanz gezogen, spricht vom „Erfolg“. Es wäre der Welt und der Kirche zu wünschen.

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