KindererziehungDas große (Ver-)erben

Alle wollen das Beste für ihr Kind. Religion und Gott sind das für viele nicht mehr.

Mein Kind soll Millionär werden. Nein, nicht erst später, sondern schon jetzt. Daher beschenken viele Begüterte ihren Nachwuchs, noch bevor er das Erwachsenenalter erreicht. Die Reichen und Superreichen fürchten vor allem eins: eine strengere Besteuerung von Erbschaften. Die soll die extrem auseinandergedrifteten Vermögensverhältnisse ein wenig zurechtrücken, etwas mehr Chancengerechtigkeit durch Lastenausgleich herstellen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung meldet, dass allein zwischen 2011 und 2014 knapp dreißig Milliarden Euro an Kinder unter vierzehn Jahren verteilt wurden. Sie haben eine Summe geerbt, „mit der sich schon jetzt über einen vorzeitigen Ruhestand nachdenken lässt“, so die „Süddeutsche Zeitung“.

Aber auch im kleineren Maßstab werden in der Republik erhebliche Kapitalmengen und sehr viele Immobilien an die nächste Generation weitergegeben. Die „Wirtschaftswoche“ hatte schon 2011 errechnet, dass in diesem Jahrzehnt acht Millionen Bürger insgesamt zweitausendsechshundert Milliarden Euro von ihren Ahnen erhalten werden. Das Deutsche Institut für Altersvorsorge stellt fest: „Es ist die einkommensstärkste und vermögendste Erbengeneration, die Deutschland je gesehen hat.“

Das materielle Vermögen kommt von „Wirtschaftswunderkindern“, die nun alt werden und sterben. Sie hatten in den Jahrzehnten nach dem Krieg weitgehend ohne Wirtschaftskrisen ihren immensen Besitz angehäuft, mit Leistung, mit Können, mit Glück, aber auch mit Raubbau an denen, die nichts zu erben haben, wohl aber einen von den Altvorderen gigantisch aufgehäuften Staatsschuldenberg abtragen und die künftigen Renditen der Begüterten erwirtschaften sollen.

Nur eins schwebt wie ein riesiges Tabu über allem: was diese Generation den bereits Geborenen und Künftigen an geistigem Vermögen vererben will und kann. In welcher Größenordnung übergibt diese Gesellschaft den Nachfahren Immaterielles, das die Evolution von Kultur, Erkenntnis, Lebenssinn, ja Religion weiter inspiriert? Zwar ist momentan viel vom christlichen Abendland die Rede, allerdings wenig von dem, was dieses über zwei Jahrtausende hinweg stets innovativ konstituiert hat. Seine intellektuelle wie spirituelle Substanz zerbröselt rasant.

Lust und Last des Kinderkriegens

Der ehemalige Papst Benedikt bemerkt in seinem jüngsten Interviewbuch mit Traurigkeit: „Dass wir nicht mehr deckungsgleich mit der modernen Kultur sind, die christliche Grundgestalt nicht mehr bestimmend ist, das ist offenkundig. Heute leben wir in einer positivistischen Kultur, die sich gegenüber dem Christentum zunehmend intolerant zeigt. Umso mehr müssen sich die Glaubenden darum bemühen, dass sie das Wertebewusstsein und das Lebensbewusstsein weiterhin formen und tragen.“

Viele Menschen sind angesichts der weltumgreifenden politischen, ökonomischen und kulturellen Erschütterungen mittlerweile verunsichert, ob die Wohlstandsinsel BRD womöglich doch nur dank eines historischen Zufalls aus dem Weltenmeer der Tragödien herausragt. Die Frage ist, wie lange noch. Andere nehmen deutlicher wahr, dass die eigene Lebenszeit begrenzt, dass das vermeintlich so lange Leben pures Geschenk ist, Erbe und Vorübergang. Was bleibt, wenn nichts mehr bleibt von dem, was einem lieb und teuer war? Was wollen wir den Nachgeborenen hinterlassen, als Echtes, Wahres und Schönes weitergeben?

Alle wollen das Beste für ihr Kind. Doch tauchen Zweifel auf, was das Beste sei in turbulenten Zeiten. Selbst die natürlichste Sache der Welt, Leben weiterzuschenken, Kinder zu zeugen und Kinder zu haben, ist heutzutage total problematisiert und keineswegs mehr so natürlich normal und so selbstverständlich sinnstiftend wie einst. Wozu sind Kinder da, wozu bin ich da?

Eine Befragung des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung hat ergeben, dass nicht wenige Eltern es bedauern, Kinder bekommen zu haben. Vor allem Akademikerinnen reut es, sich beruflich nicht so zu verwirklichen wie gewünscht. Hingegen sehnen sich Kinderlose nach eigenen Kindern, als seien sie das himmlische, das einzig wahre Glück auf Erden. Zwar sagen immer noch über neunzig Prozent der Väter und Mütter, dass ihnen Kinder wichtig sind. Aber die Zustimmung schmilzt dahin, wenn es darum geht, das Kinderkriegen auch den eigenen Kindern als wichtig zu empfehlen. „Wer … weiß, was es bedeutet, Kinder zu gebären und aufzuziehen, neigt zur Vorsicht“, so die „Zeit“. „Kind oder gute Arbeit? Vor diese harte Entscheidung gestellt, empfehlen manche Frauen, lieber zu arbeiten, sich und ihr Können zu zeigen.“

Erziehen ist anstrengend, verlangt Höchstleistung. Kinder sind mit Entbehrung und Sorgen verbunden, oft ein Leben lang. Kinder kriegen und Kinder haben ist eben kein Kinderspiel. Von den Erwachsenen verlangt es, erwachsen zu werden, sich zu binden in verlässlicher Verantwortung. Dazu sind die Infantilismen der Spaß-Party-Unterhaltungskultur, die mit vielen Ablenkungen die Leistungskultur flankiert, abzulegen. Stabile und vertrauensvolle elterliche Beziehungen beeinflussen positiv auch stabile und vertrauensvolle Beziehungen der Kinder. Der soziale Erbcode ist nicht minder wichtig als der genetische.

Alleskönnerinnen und Alphatiere

Doch lastet erheblicher gesellschaftlicher Druck vor allem auf den Frauen und erst recht auf den Müttern. Sie sollen Alleskönnerinnen sein. Parallel ist die gesellschaftliche Anerkennung für das Selbstverständliche, Normale geschwunden: Kinder zu kriegen. Das aber macht den kreatürlichen Gang des Lebens aus, stiftet in allen Kulturen auf natürliche Weise unmittelbar Sinn, der sich als Freude, Leben zu schenken und Leben geschenkt zu erhalten, weitervererbt von Generation zu Generation. Fast alle Menschen sagen, dass Familie für sie den obersten Rang in der Werteskala einnimmt, selbst wenn man keine eigene Familie gründet. Die Ersatzfamilie, bevorzugt im Freundeskreis, hilft, gegen die Verzweiflung, gegen die Sinnlosigkeit als Krankheit zum Tode zu bestehen.

Auch Männer stehen verstärkt unter gesellschaftlichem Druck. Die Fassade des gesellschaftlich transportierten Leitbilds vom Welteroberer, Alphatier und Erfolgsmenschen wollen viele nicht länger aufrechterhalten. Die Seele darf nicht zu kurz kommen. Abgedankt hat das Ur-Vatermodell „des Patriarchen, des Königs im Reich der Familie“. So kennzeichnet das „Folio“-Magazin der „Neuen Zürcher Zeitung“ den Wandel. Einst galten die Kinder wie die Ehefrau als Besitz des Mannes. Ihnen vererbte der Vater - Kopf des Haushalts - Macht, Einfluss, Ansehen zum Erhalt der Sippe. Derartige Vorstellungen jedoch haben nur noch in ganz wenigen Milieus überlebt. Bereits das 18. Jahrhundert hatte den Herbst des Patriarchen eingeläutet.

Im Herbst des Patriarchen

Allerdings entstehen neue Irritationen. Mancher Vater, der das Patriarchsein abgelegt hat oder dem es seit jeher fremd war, wandert geistig aus der Familie aus. Er weiß nicht mehr, wofür er eigentlich da ist. Ihr Sinn hat sich für ihn, den einstigen „Ernährer“, entleert. Er ist nunmehr „der große Abwesende, ein Zaungast im eigenen Reich, ein Fremder im eigenen Haus. Er hat keine Ahnung davon, was in der Familie abläuft.“ Andere verlassen auch körperlich Frau und Kind(er), weil sie sich in ihrer Verantwortung und Bindung überfordert fühlen. Sie lassen die Frau als Alleinerziehende sitzen. Wieder andere Väter bemühen sich, die bessere Mutter zu sein, indem sie ihren Nachwuchs verwöhnen. Der Philosoph Dieter Thomä von der Universität Sankt Gallen nennt solche Väter Sugar Daddys. Sie wollen ihre Kinder über alle Maßen verwöhnen, ihnen das Leben rundum versüßen. Der sanfte Zucker-Vater „legt die Lektion vom Ende der Strenge so aus, dass er für seine Kinder nur das Beste will und ihnen deshalb jeden Wunsch von den Augen abliest … Es gibt millionenfach Väter, die sich nicht anders zu helfen wissen, als ihre Liebe mit Konsumgütern auszudrücken. Ein Vater kann nicht nur zu hart, sondern auch zu weich sein.“

Andere Väter meinen, sich selber ständig als Jugendlicher gebärden zu müssen. Mit peinlichen Anstrengungen versuchen sie, mit den Kindern das „Kind im Manne“ herauszulassen. Sie biedern sich an, wollen Abenteuer erleben. Thomä beobachtet eine seltsame Wirkung solcher Väter auf die Jungen: „Wenn sie nur noch mit solchen Möchtegern-Jugendlichen zu tun haben, finden sie niemanden, an dem sie sich reiben, gegen den sie aufbegehren können. Das heißt nichts anderes, als dass sie ziemlich allein sind auf der Welt.“

Was also wäre der nachkommenden Generation zu vererben? Viel und wenig zugleich: Vorbild sein. Für Thomä heißt das: Haltungen, Überzeugungen, Werte vorleben. Dazu gehören Autorität und Sendungsbewusstsein: „das Bedürfnis, etwas auszustrahlen und weiterzugeben, … nicht wie ein Vorgesetzter, nicht wie ein unnahbarer Herr“.

Groß vor dem Kind stehen, bedeutet für den Philosophen aber auch, in die Knie gehen. Nicht zur götzenhaften Anbetung des vergötterten Kindes, sondern zur Anregung des Kindes, einen eigenen Weg durch das Leben zu finden, zu seiner Erkenntnis, dass Vater und Mutter nicht alles, nicht Gott sind.

Allerdings sollten die Kinder knieende Eltern noch in einem ganz anderen Kontext, in einem ursprünglichen Sinn als Vorbilder erleben: knieend vor dem alleinig Höchsten, vor dem Allerheiligsten, der das Leben in seiner Sterblichkeit erst lebenswert, hoffnungsvoll, ewig macht. „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“

Kinder sind nicht dumm. Im andächtigen Staunen über das Dasein und die Welt richten sie ihre Jenseits-Fragen von kleinst ­auf indirekt und „schweigend“ an die Erwachsenen und erwarten von ihnen, ernstgenommen zu werden. Hier entscheidet sich, was wir kommenden Generationen geistig wirklich vererben und was diese als kostbarsten Besitz selber in einem lebenslangen Prozess stets neu erwerben.

Sex ist leicht, Liebe ist schwer

Die Meinungsmacher der Medien und die kirchlichen Leitungsautoritäten, die fast nur noch sozialmoralisierend in der Öffentlichkeit unterwegs sind, tun so, als sei jeder für alles Elend der Welt verantwortlich und als könnten und müssten wir die Welt retten. Welche Hybris, welche Illusion. Kein Mensch rettet die Welt. Aber jeder Getaufte kann das eigene kostbare Erbe des Glaubens und die biblisch mit ihm verbundene Liebe zum Nächsten zu retten versuchen. Das ist anstrengend genug, denn auch die Liebe hat Grenzen und darf nicht überfordert werden. Es reicht, „unsere Liebe dahin zu geben, wo sie wirklich was bewirken kann“, bei der Partnerin, beim Partner, bei den Kindern. Dieses Wenige ist viel. Darauf verweist der dänische Pädagoge und Familientherapeut Jesper Juul in der „Welt“. Es gehe darum, neu zu lernen, „wie man einen Menschen liebt, mit dem man sowohl Kinder hat als auch Sex“. Partnerschaft und Elternschaft sei wieder Bedeutung zu geben, Vertiefung. Das ist eine individuelle, aber auch eine gesellschaftliche Aufgabe, eine echte Leistung. „Sich zu verlieben und Sex zu haben, ist leicht - das lehrt uns die Natur. Die Fähigkeit zu lieben nicht.“ Es sei wichtig, „das enorme Potenzial zu entdecken, das eine ernsthafte, lang anhaltende, liebesbasierte Beziehung zwischen Eltern und Kindern für die persönliche und spirituelle Entwicklung hat“. Also: Religion!

Liebe, Hoffnung und Glaube lassen sich jedoch nicht verordnen. Selbst wenn das religiös-geistige, christliche Erbe der Ahnen nützlich sein mag für künftige Generationen, für die Zivilisation, die Gesellschaft, das Staatswesen - Gott macht das noch lange nicht plausibel. Wenn „Gott“ nur aufs Neue funktionalistisch für Erziehungszwecke gebraucht wird, ohne dass es Gott gäbe, würden die zivilreligiösen Ritualismen bald als fromme Lüge durchschaut. Wenn es aber Gott gibt und wenn Menschen Gott als Sinn ihres Lebens wie der Menschheit entdecken, wenn er ihnen neu plausibel würde, wäre daraus ein Freiheits- und Hoffnungserbe zu gewinnen auch für die Nachkommen, seien es die eigenen Kinder oder fremde.

Noch taucht die religiöse Frage in den weltlichen Debatten über Frausein und Mannsein, Muttersein und Vatersein kaum auf. Im aktuellen Sonderheft „Mann“ des „Zeit-Magazins“ wurde allerdings der Benediktiner Elmar Salmann nach der männlichen Rolle in der religiösen Erziehung befragt. Inmitten neckischer Lifestyle-Beiträge erklärte Salmann, lange Zeit Professor für Philosophie und Theologie an den römischen päpstlichen Universitäten Sant’Anselmo und Gregoriana: „Die klassische Vaterrolle war … nicht die der Bemutterung, des An-sich-Bindens, sondern der Vater musste lernen, das Kind anzuerkennen in seiner Andersheit. Wenn das gelang, war der Vater der Garant oder der Förderer der Freiheit im besten Falle. Und das scheint mir übrigens auch der Grundakt Gottes zu sein: Er hat elementare Freude am Entstehen neuer Freiheit, an Talenten, am Wachstum. Das Fördern, das Aus-den-Büschen-Locken, das habe ich immer als einen sehr männlichen Akt empfunden - und das ist für mich auch das Wesen Gottes.“

Das meiste Geld wird weiterhin vererbt von Männern, von Vätern. Wann beginnen diese, zumal in einem erzieherisch feminisierten Christentum, ihre Aufgabe zu erkennen, auch geistig-religiös Vorbilder zu sein für ihre Söhne und Töchter? Im Judentum und im Islam ist die Einführung der Kinder in die religiöse Welt der vornehmste Bildungsauftrag für Väter. Das Bedeutendste, das Frauen wie Männer den Nachfahren vorleben und vererben können, ist der Sinn ihres eigenen Lebens: die Freiheit des Geistes, die Lust am Selberdenken und Selberschaffen, die Freude an der Schöpfung, die Hoffnung aufs Unendliche, das Staunen, die Liebe, die Neugier auf Gott.

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