InklusionIm vergoldeten Gehege gefangen

Das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung wird schlechtgeredet. Doch trotz aller Schwierigkeiten: Inklusion ist sinnvoll und wird dem biblischen Bild vom Miteinander der Menschen gerecht.

„Mit sechs Jahren bin ich in die Grundschule gekommen… Die Direktorin hat mich in den normalen Schulbetrieb aufgenommen. Und das ohne Gewalt und Richter … Die meiste Zeit war ich mit meinen Mitschülern in der Schulklasse.“

Es klingt nicht spektakulär, was Verena Turin von ihrer Schulzeit erzählt (in dem eindrucksvollen Buch „Superheldin 21“, aktuell bei Rowohlt erschienen). Das Besondere: Die heute erwachsene Frau hat das Downsyndrom - eine geistige Einschränkung, die an einer angeborenen, genetischen Veränderung des Erbguts liegt.

Dass Verena Turin eingeschult wurde, ist schon mehr als drei Jahrzehnte her. Das muss man dazusagen, um ihre Erinnerungen angemessen würdigen zu können. Und ebenso, dass es in Südtirol war. Damals und dort sprach noch kaum jemand von Inklusion, also davon, dass Menschen mit und ohne Behinderung möglichst vieles gemeinsam tun sollen. Aber anstatt über Eingliederung zu reden, machte man es einfach. Und man machte es oft gut, wie das Beispiel von Verena Turin zeigt. Die junge Frau hat ihren Platz in der Welt gefunden. Sie arbeitet in einem Pflegeheim, macht Musik, schreibt Texte für ein Magazin.

Verena Turin hatte damals das Glück, dass sie auf verständnisvolle, pragmatische Lehrer und offene Mitschüler getroffen ist. Es gibt leider auch etliche junge Menschen, für die es nicht so gut lief. Julia Bertmann etwa, ebenfalls eine Frau Mitte dreißig, erinnert sich (im Katalog zur furiosen Ausstellung „Touchdown. Die Geschichte des Downsyndroms“, die Anfang des Jahres in der Bonner Bundeskunsthalle zu sehen war): „Früher, als ich ein kleines Kind war, bin ich in einen normalen Kindergarten gegangen, wo Nichtbehinderte waren. Es hat mich sehr gefreut, dass die Eltern hinterher gesagt haben, sie können sich das auch vorstellen, dass ich mit in die Grundschule kommen kann. Aber ich konnte nur zwei Schuljahre mitmachen. Dann sind wir von Essen nach Mühlheim gezogen. Dort wurde ich zwangsgemäß auf die Sonderschule gepackt. Das fand ich nicht so toll.“

In Deutschland war es lange der Normalfall, dass Menschen mit Behinderung in gesonderten Schulen unterrichtet wurden. Kaum ein Land der Welt hat ein derart ausgebautes Sonder- beziehungsweise wie es heute heißt Förderschulsystem. Das ist durchaus gut gemeint, im Einzelfall kann es auch sinnvoll sein. Stellen diese Schulen doch einen Schutzraum dar, in dem Lehrer individuell auf die besonderen Bedürfnisse der besonderen Schüler eingehen können. Dass aber flächendeckend und für die allermeisten Menschen mit Behinderung nur die Förderschule der Weg sein soll, ist nicht nachzuvollziehen.

Vom Sorgenkind zum Mensch

Eine Einheitsregelung wird der Vielfalt von Menschen nie gerecht, auch nicht der Vielfalt bei Menschen mit Behinderung. Und so ist wohl nicht ganz von der Hand zu weisen, dass die Förderschulen gesellschaftlich auch die Funktion hatten, Menschen mit Behinderung aus dem normalen (Schul-)Alltag auszuschließen. Das Abschieben in Parallelwelten setzt sich übrigens auch nach der Schule fort, wenn Menschen mit Behinderung vor allem in speziellen Berufsbildungswerken ihre Ausbildung machen und dann in Behindertenwerkstätten arbeiten. Papst Franziskus hat solche Einrichtungen einmal „vergoldete Gehege“ genannt. Menschen mit Behinderung würden dorthin abgeschoben - damit sie nicht den „Rhythmus des künstlichen Wohlbefindens“ stören.

Zurück zu Verena Turin und Julia Bertmann. Ihre gegensätzlichen Schulerfahrungen liegen Jahrzehnte zurück. Heute, so sollte man meinen, müsste die Welt weiter sein. Da dürfte es doch keine Frage des Glücks oder günstiger Zufälle mehr sein, ob junge Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen können.

Tatsächlich hat sich das gesellschaftliche Bewusstsein weiterentwickelt. Das wird an einem Detail deutlich: Im Jahr 2000 änderte das ZDF den Namen seiner Soziallotterie von „Aktion Sorgenkind“ in „Aktion Mensch“. Aus dem Blickwinkel des Marketings ist so ein Schritt gewagt. Die Lotterie war eine eingeführte Marke, weithin bekannt und jahrzehntelang überaus erfolgreich. Wieso sollte man das aufs Spiel setzen? Doch für die Verantwortlichen zählte etwas anderes. Sie wollten deutlich machen: Mit einer Behinderung werden junge Leute nicht automatisch zu „Sorgenkindern“ - sondern es ist schlicht eine Facette der vielen Facetten des Menschseins.

Sprachlich hat sich überhaupt einiges getan. Mitte der achtziger Jahre noch brachte die Kinderbuchautorin Gudrun Mebs eine neue Sammlung ihrer meist rührenden Geschichten von „der Oma“ und „dem Frieder“ heraus, längst ein Klassiker für junge Zuhörer und Leser. Darin gibt es allerdings auch einen Text, in dem ein Mann mit lahmem Bein durchgängig als „Krüppel“ bezeichnet wird. Dass so etwas heute geschrieben würde, ist unvorstellbar. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: Wenn jemand ein lahmes Bein hat, macht das nicht sein gesamtes Wesen aus. Man darf ihn nicht darauf reduzieren, nicht einmal mit Worten. Auf dieser Linie liegt es, wenn nicht mehr von „Behinderten“ gesprochen wird, sondern von „Menschen mit Behinderung“. Natürlich gibt es auch sprachliche Übertreibungen - etwa wenn von „verhaltensoriginellen“ Kindern gesprochen wird. Doch solche Ausreißer machen das Anliegen des aufmerksamen Sprechens nicht falsch.

Fortschritte auf Weltebene

Eine neue sprachliche Sorgfalt kann sich freilich nur dann durchsetzen, wenn es in der Realität, im alltäglichen Leben ein größeres Verständnis gibt. Auch da sind Fortschritte festzustellen, vor allem seit die Generalversammlung der Vereinten Nationen Ende 2006 das „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ verabschiedet hat. Der völkerrechtliche Vertrag verpflichtet die Unterzeichner, „den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten“. Gleiche Rechte - alle Rechte - für alle Menschen mit Behinderung, lautet die klare Vorgabe. Das Dokument markiert für viele Beobachter einen Perspektivwechsel. Behinderung soll nicht mehr als Benachteiligung, als Mangel, betrachtet werden, sondern „als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit“ (Artikel 3). Mit anderen Worten: Wer Menschen mit Behinderung als defizitär ausschließt, geht an der Fülle des Menschseins vorbei.

Auch was Schule angeht, ist das Dokument eindeutig. Menschen mit Behinderung sollen Zugang zum allgemeinen Bildungssystem haben. Zwar werden Förderschulen nicht komplett abgelehnt. Aber Ziel ist das gemeinsame Lernen aller. Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sollen „gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben“ (Artikel 24).

Wirrwarr in Düsseldorf

Deutschland unterzeichnete die Behindertenrechtskonvention als eines der ersten Länder, offiziell gilt sie hier seit 2009. Inklusives Lernen soll „eine Selbstverständlichkeit“ werden, heißt es im Aktionsplan der Bundesregierung. Und manches geht auch voran. Die sogenannte Inklusionsquote nahm stetig zu. Dieser Wert gibt an, wie viele Schüler mit Förderbedarf eine Regelschule besuchen. Im Schuljahr 2008/09 lag die Quote noch bei lediglich 18,4 Prozent. Deutschland befand sich damit auf dem vorletzten Platz in Europa, nur in Belgien gab es noch weniger Inklusion. Österreich und die Schweiz bewegten sich im Mittelfeld. Nach Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention stieg die Quote auf heute 41,1 Prozent. Deutlich mehr als jedes dritte Kind mit Förderbedarf geht also inzwischen in eine Regelschule.

Auch wenn einiges in die richtige Richtung zeigt: Es ist längst noch nicht ausgemacht, dass die schulische Inklusion in Deutschland wirklich auf den Weg kommt. Wer genauer hinschaut, entdeckt vieles, was nicht gut läuft. Beispiel Inklusionsquote: Der allgemeine Anstieg von 18,4 auf 41,1 Prozent klingt überzeugend. Aber es ist nur ein Durchschnittswert. Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. In Bremen etwa gehen fast neunzig Prozent aller Schüler mit Förderbedarf in eine Regelschule. Das ist der höchste Wert in Deutschland. Die niedrigste Quote dagegen gibt es mit 26,8 Prozent in Hessen. Es ist also nach wie vor vielerorts Glücksache, ob einem die Möglichkeit zum gemeinsamen Lernen eingeräumt wird.

Wie kann das sein angesichts der klaren Vorgabe aus der Behindertenrechtskonvention? Die Antwort ist einfach: Bildung ist in Deutschland eben Ländersache, und gerade in der Schulpolitik wollen sich die unterschiedlichen politischen Lager und Konstellationen traditionell gern selbst verwirklichen. Und so wird je nach Bundesland bereits unterschiedlich definiert, wer überhaupt sonderpädagogischen Förderbedarf hat. Auch das Engagement, die Inklusion selbst voranzutreiben, ist unterschiedlich ausgeprägt. Dabei bremsen eher die Bundesländer mit konservativen Regierungen, recherchierte unlängst die „Rheinische Post“. Das ist leicht zu erklären, sieht sich diese politische Kraft doch vor allem dem Leistungsgedanken verpflichtet. Ihre Sorge: Durch Inklusion lernen Kinder ohne Behinderung womöglich nicht mehr so schnell, weil sie auf behinderte Kinder Rücksicht nehmen müssen.

Aktuell lässt sich der bildungspolitische Wirrwarr beispielhaft in Nordrhein-Westfalen beobachten, wo es gerade einen Regierungswechsel - und prompt einen Richtungswechsel in der Inklusionspolitik an den Schulen - gegeben hat. Die rot-grüne Vorgängerregierung hatte 2013 als erste in Deutschland den Rechtsanspruch auf Inklusion für alle Regelschulen eingeführt. Familien sollten die freie Wahl für ihr Kind mit Behinderung haben, konnten vom Grundsatz her bei jeder Schule Inklusion beantragen. Weil sich viele Eltern für die Regelschule entschieden, erreichten etliche Förderschulen nicht mehr die rechtlich vorgeschriebene Mindestanzahl an Schülern. Das schleichende Aus für diesen Schultyp war eingeleitet. Achtzehn Förderschulen haben bereits zum Ende des vergangenen Schuljahres geschlossen, bis 2025 sollten es mehr als vierzig sein.

Nach dem Regierungswechsel zu Schwarz-Gelb im Mai gilt nun eine andere Vorgabe. Die FDP hatte in ihrem Wahlprogramm sogar die Abschaffung des Rechtsanspruchs auf Inklusion versprochen. „Das radikale Verständnis einer kompromisslosen Inklusion, wie es vielfach gefordert und betrieben wird, nimmt … weder auf den Förderbedarf des Einzelnen noch auf die Integrationsfähigkeit von Regelklassen Rücksicht“, hieß es da. In dieser Schärfe findet sich die Aussage zwar nicht im Koalitionsvertrag. Doch inklusiver Unterricht soll künftig nur noch an sogenannten Schwerpunktschulen garantiert werden. Das kann man als Maßnahme zur Qualitätssicherung deuten: Wenn Schüler mit Behinderung zusammengefasst werden, stehen dieser Gruppe dann mehr Sonderpädagogen mit mehr Stunden zur Verfügung. Faktisch wird jedoch damit zugleich das Angebot eingeschränkt. Und bereits in ihrer ersten Kabinettssitzung beschlossen Christdemokraten und Freie Demokraten zudem ein „Moratorium“, um die Schließung von Förderschulen abzuwenden. Die Vorgabe einer Mindestgröße wurde ausgesetzt.

Erst Euphorie, dann Frust

Man mag keinem der Verantwortlichen absprechen, aus ehrlicher Überzeugung für das Wohl der Kinder zu handeln. Aber haben sich die Politiker einmal in die Lage von Eltern mit behinderten Kindern versetzt? Woran können die sich halten, wenn heute dies, morgen aber ziemlich das komplette Gegenteil gilt? Verlässliche Politik sieht anders aus.

Was in Nordrhein-Westfalen passiert, scheint wie so oft auch diesmal die Blaupause für den Rest der Republik. Denn die Stimmung dreht sich, was Inklusion in der Schule angeht. Wenn es überhaupt je so etwas wie Euphorie dafür gegeben hat, so herrscht jetzt das Gegenteil vor. Das gemeinsame Lernen von Schülern mit und ohne Behinderung wird systematisch schlechtgeredet.

Die Inklusion steht vor einer „Wende“, behauptete unlängst der frühere saarländische Kulturstaatssekretär Hansgünter Lang in der „Frankfurter Allgemeinen“. Lange sei Inklusion ein Selbstläufer gewesen. Die Befürworter der Inklusion hätten nur das Wort Behindertenrechtskonvention aussprechen müssen, „und unbequeme Fragen zu Sinnhaftigkeit und Rechtmäßigkeit dieses bildungspolitischen Großprojekts wurden gar nicht erst gestellt“. Doch jetzt gebe es einen Praxisschock, und zwar von zwei Seiten: „Die Eltern der behinderten Kinder erleben, wie eine Förderschule nach der anderen aufgelöst wird. Gleichzeitig hat sich der Blick der Öffentlichkeit dafür geschärft, wie schwierig Inklusion in den meisten Fällen ist.“ Auch der „Spiegel“ stellte im Frühjahr bitter fest: „So, wie die Inklusion in Deutschland betrieben wird, muss sie scheitern: Sie überfordert die Lehrer, es leiden die Kinder.“

Besonders kämpferisch äußert sich derzeit der Pädagoge Michael Velten in seinem provozierenden Buch „Die Inklusionsfalle“ (im Frühjahr im Gütersloher Verlagshaus erschienen). Schon im Untertitel macht er klar, dass nach seiner Überzeugung Inklusion nicht mehr ist als eine „gut gemeinte Idee“, die aber letztlich „unser Bildungssystem ruiniert“.

Das Beispiel Henry

Viele Bildungsforscher sagen, dass vom gemeinsamen Lernen alle Schüler profitieren, und zwar vor allem hinsichtlich ihrer sozialen Kompetenz. Davon will Michael Velten nichts wissen. Er behauptet, Inklusion sei letztlich sogar kontraproduktiv für die Förderkinder. Wörtlich schreibt er von einem „Entwicklungsrisiko für Sorgenkinder“. Sie wären in den regulären Klassen einsam und würden immer wieder auf ihre Schwächen gestoßen. Und auch für den Rest der Klasse sieht Velten nur Negatives. „Da die Förderkinder nur in einzelnen Stunden angemessen betreut werden, bringen sie in der übrigen Zeit den Unterricht oft tüchtig durcheinander.“

Vieles in Veltens Diagnose ist richtig. Lehrer sind möglicherweise überfordert, wenn sie neben vielem anderen jetzt zusätzlich die Inklusion stemmen sollen. Es fehlt an der personellen und finanziellen Ausstattung. Es braucht mehr Lehrer, mehr Sonderpädagogen, mehr Weiterbildung. Und ja, es muss differenzierte Möglichkeiten geben. Es wird für manche Kinder die Förderschule brauchen, auch Zwischenstufen sind denkbar, etwa Partner- oder Außenklassen, bei denen Schüler mit und ohne Behinderung nur zeitweise zusammen sind.

Velten schreibt, er suche die „pädagogische Mitte zwischen totaler Inklusion und starrer Separation“. Das hört sich gut an. In den meisten Passagen klingt sein Buch aber so, als ob er sich gegen das gemeinsame Lernen an sich ausspricht. Für ihn gibt es nur „Fehlentwicklungen und Widersprüche …, wohin man schaut“.

Dass es an vielen Ecken hakt, ist unbestritten. Der Erziehungswissenschaftler Klaus Klemm wies vor zwei Jahren in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung auf die gravierendsten Baustellen hin. So gelte etwa nach wie vor: Je höher die Bildungsstufe, desto geringer sind die Chancen auf Inklusion. „Gemeinsames Lernen und Spielen ist in Kitas bereits weit verbreitet. Auch die Grundschulen nehmen immer mehr Förderschüler auf. Doch sobald Kinder mit und ohne Handicap eine weiterführende Schule besuchen, lernen sie in der Regel getrennt.“ Gerade Gymnasien und Realschulen arbeiten bislang kaum inklusiv, wie das Trauerspiel um den Schüler Henry in Baden-Württemberg vor drei Jahren zeigte. Seine Eltern wollten den Jungen mit Downsyndrom zusammen mit seinen Freunden auf eine weiterführende Schule schicken. Doch sowohl das örtliche Gymnasium als auch die Realschule sahen sich nicht dazu imstande.

Wer den Blick über die Schule hinaus weitet, sieht wenig Anzeichen für ein Mehr an echter Inklusion. Das gesellschaftliche Klima ist letztlich doch anders, trotz aller sprachlichen und auch faktischen Verbesserungen. Neun von zehn Schwangerschaften, die ein Downsyndrom haben könnten, werden inzwischen beendet. Und die vorgeburtlichen Tests werden immer einfacher, effektiver. Behinderung soll offenbar immer mehr verschwinden - und damit sind nicht die behindernden Strukturen gemeint. Am besten wäre es doch, so denken heute viele, wenn Behinderungen durch Genmanipulationen irgendwann einfach verhindert würden.

Was für Menschen werden wir dann sein? Die Kultur-Redakteurin Petra Kohse schreibt in der „Frankfurter Rundschau“: „Die Vorstellung, in einer Welt zu leben, zu der nur noch jene Zutritt haben, die die Norm erfüllen, ist erschreckend.“ Sie spricht sich dafür aus, dass sich die Gesellschaft „bewusst und aus kulturellen Gründen … für eine vielfältige, unheile Gemeinschaft mit nicht normierten Erfahrungen und Lebenswegen“ entscheidet.

Wer biblisch, theologisch auf das Thema schaut, kann ebenfalls nicht anders, als sich für wirkliche Inklusion starkzumachen. Jesus hat immer wieder „damals ungewohnte Handlungen“ unternommen, „indem er an den Rand gedrängte Menschen (Kranke, Aussätzige, Zöllner, Sünder, Kinder) in die Mitte stellt“, schreibt der evangelische Pastoraltheologe Johannes Eurich in der Zeitschrift „Geist und Leben“. Mehr noch: Gott habe Jesus, der durch die Kreuzigung „aus der menschlichen und göttlichen Gemeinschaft“ ausgeschlossen schien, bestätigt. Damit werde „die zutiefst inkludierende Wirkung von Gottes Handeln angezeigt“. Daraus muss laut Eurich folgen: Die Gemeinschaft der Kinder Gottes muss „eine jeden Menschen bestätigende und wertschätzende Gemeinschaft sein“.

Panzer statt Pennäler

Zurück zur Schule: „Der Kern des Pro­blems ist die fehlende Zeit für den einzelnen behinderten Schüler“, stellt Hansgünter Lang zutreffend fest. Mit anderen Worten: Es ist ein Personal- und damit ein Geldproblem. Aber warum ist das Geld nicht da? Ist es nicht legitim zu fragen, warum der Verteidigungshaushalt derzeit kontinuierlich erhöht wird. Was ließe sich allein mit den mehr als zehn Milliarden Euro anfangen, um die der Verteidigungshaushalt bis 2020 aufgestockt werden soll? Doch Panzer lassen sich nicht gegen Pennäler aufrechnen. Warum eigentlich nicht?

Wahrscheinlich weil es vordergründig „nur“ um etwa 500000 Schüler in Deutschland geht. Doch das ist zu kurz gedacht. Warum nicht die Aufgabe der Inklusion annehmen, indem grundsätzlich überlegt wird, welche Schule wir wollen? Die Autorin Julia Latscha, selbst Mutter einer Tochter mit Behinderung, schrieb kürzlich auf „Zeit Online“: „Nicht die herausfordernden Kinder sind die Ursache für die Überforderung des deutschen Bildungssystems, sondern die strukturelle, vor allem aber auch gedankliche Unflexibilität … Schon bevor die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten ist, war das dreigliedrige Schulsystem zu starr für die vielen unterschiedlich begabten Kinder.“

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