Kirche und FinanzenDie Kirche und das liebe Geld

Wie reich ist die Glaubensgemeinschaft? Der Disput über Kirchensteuer und finanzielle Staatsleistungen kommt nicht zur Ruhe - erst recht nicht angesichts mancher Verschwendungs- und Protzsucht-Skandale. Zeit zum Umdenken und Umkehren.

Wie hat Jesus Kirche gewollt? Als Wohlfahrtskonzern zur professionellen Linderung sozialer Nöte im Staatswesen? Als - in Deutschland - größten privaten Arbeitgeber? Als Immobilien-Besitzer und Wohnungsbauunternehmer? Als politische Lobby- oder moralische Werteagentur für einen „Ruck durch die Gesellschaft“? Das zu fragen mag als ungehörig erscheinen oder bestenfalls als unhistorisch. Aber die Unruhe wächst. Und viele Menschen stellen die Kirche zur Rede, erst recht in Zeiten, in denen selbst die Getauften immer weniger am „Geheimnis des Glaubens“ interessiert sind: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit“?

Allenfalls noch jedes zwanzigste Kirchenmitglied - Katholiken und Evangelische zusammengenommen - besucht am wöchentlichen Osterfest Sonntag den Gottesdienst, um das Gedächtnis und die Vergegenwärtigung des Erlösungsgeschehens durch Jesus Christus als eigene Hoffnung auf das Reich Gottes zu feiern. Die erheblichen geschichtlichen wie gegenwärtigen Zuwächse an materiellem Vermögen stehen in keinem Verhältnis mehr zum geistigen Wachstum, der - wie sie der evangelische Theologe Thies Gundlach bezeichnete - „inneren Kultur“ der Glaubensgemeinschaft.

Es ist nur konsequent, wenn sich in einer Gesellschaft, in der sich politisch wie ökonomisch vieles, ja alles ums Geld dreht, daran auch massive Kirchenkritik entzündet. Dies erstaunlicherweise umso mehr, je reicher die Gesellschaft selber geworden ist. Ausgerechnet in der superreichen Wohlfahrtsnation, der es so gut geht wie noch nie, hat sich der Protest gegen das Kirchenwesen und seine finanziellen Verhältnisse ins Unermessliche gesteigert, was in ärmeren, aber gläubigeren Zeiten undenkbar war. Der Zusammenhang ist klar: je mehr Gottesverlust, umso mehr Hass auf die Kirche und Hetze gegen die Kirche. Das macht sich mit Vorliebe fest am „lieben“, von allen „geliebten“ Geld. Wie überall auf dem Markt wird es zum Vehikel für Zustimmung wie Ablehnung. Nun bezogen aufs Religiöse, das stört. Man kritisiert das Geld, meint aber den Glauben.

Allerdings sind auch engagierte Christen unruhig geworden, ob die Vermögensrealitäten und Trends tatsächlich noch mit dem übereinstimmen, was das kirchlich institutionell verfasste Christsein in der Nachfolge Christi religiös ist und sein soll. Die Balancen zwischen Geist und Geld sind gekippt.

2014: Elf Milliarden

Neulich berichtete die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“, dass trotz des ökonomischen Krisengeredes das Kirchensteueraufkommen in der Bundesrepublik nach den vorangegangenen Rekordjahren 2014 noch einmal kräftig wächst. Die katholische und die evangelische Kirche erzielen zusammen angeblich elf Milliarden Euro. Allein seit 2010 seien die Kirchensteuerzuflüsse um mehr als siebzehn Prozent gestiegen, seit 2005 sogar um 43 Prozent. Auf faz.net heißt es: „Zwar haben die beiden großen Kirchen in Deutschland in den vergangenen Jahren viele Mitglieder verloren, und auch die Zahl der kirchlich Aktiven geht stark zurück. Doch noch ändert das nichts am finanziellen Aufschwung.“ Weniger religiöser Geist scheint mit mehr materiellem Vermögen gut zu harmonieren. Der steuerliche Geldsegen wird mit einem hervorragenden Wirtschaftswachstum und entsprechenden Einkommenssteigerungen begründet. Andererseits jammern Ökonomen wie Finanzexperten jetzt über das Gegenteil: Die Wirtschaft lahme, die Konjunktur sei eingebrochen. Die Kirchensteuereinnahmen hängen jedenfalls direkt von der „Lohntüte“ ab. Im Auftrag der Kirchen und bezahlt von den Kirchen ziehen die staatlichen Finanzbehörden die Beträge automatisch ein.

Die verheerende Wirkung einer „superreichen“ Kirche auf große Teile der Bevölkerung ist nicht zu verharmlosen. Der Kölner Dompropst Norbert Feldhoff, der als langjähriger ehemaliger Generalvikar des reichsten Bistums Deutschlands und - nach Chicago - vermutlich zweitreichsten der Welt einer der auch finanziell erfahrensten Verwaltungsfachleute ist, schrieb in den „Stimmen der Zeit“: „Die glaubwürdige Verwendung der kirchlichen Finanzmittel ist nicht mit einer einmaligen Veröffentlichung im Hochglanzformat oder im Internet belegt. Der Papst fordert eine dauerhafte institutionelle Gewissenserforschung, nicht aber einen Auszug aus den Kathedralen oder eine Beseitigung des Schönen aus der Kirche.“ Dabei sei eins sicher: „Die Kirche muss die aktuelle Debatte um ihre Finanzen ernstnehmen und angemessen darauf reagieren. Nur so kann verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden.“

Einen radikalen Vorschlag hat der evangelische Pfarrer Jochen Teuffel in einer Streitschrift vorgelegt: „Rettet die Kirche. Schafft die Kirchensteuer ab“ (fontis Verlag, Brunnen Basel). Der in Bayern tätige Geistliche und ausgebildete Industriekaufmann sieht die Glaubensgemeinschaften auf einem falschen Weg, der zwar historisch grundgelegt und verständlich sei, jetzt aber in die Sackgasse mündet. Die Kirchen hätten sich dem Verdacht ausgesetzt, letztendlich eine Art Geldeinzugsmaschine zu sein, die notfalls staatliche Zwangsmittel einsetzt. Wer keine Kirchensteuer entrichten will, habe nach dem deutschen Sonderrecht nur die Möglichkeit, aus der Kirche auszutreten, selbst wenn er weiter engagiert glaubt und in der Nachfolge Christi das Evangelium befolgt, die Sakramente ernstnimmt. Doch deren Empfang wird ihm dann verweigert.

Herrschaftsinstrument Steuer

Steuern sind für Teuffel keine freiwilligen Abgaben, sondern ein Herrschaftsinstrument: „Tributpflichtig können nur unfreie Vasallen sein, die sich einem König unterzuordnen haben … Im Reich Gottes hingegen leben die Kinder Gottes steuerfrei.“ Die Kirchensteuer betrachtet Teuffel als Zwangsabgabe. Er steht mit dieser Auffassung im Einklang mit Formulierungen sowohl im „Lexikon für Theologie und Kirche“ als auch im „Evangelischen Staatslexikon“. Nur werde diese Tatsache kirchenamtlich ständig verschleiert: Es handele sich um einen freiwilligen Mitgliedsbeitrag von Personen, die der Kirche ja freiwillig angehören.

Für den Autor ist das paulinische theologische Verständnis der Gnade und Rechtfertigung des Menschen allein durch Christus und seine Heilstat geradezu pervertiert. Erst Geld - dann die Dienstleistung Abendmahl oder Eucharistie! In der Bezahlung des Kults, der liturgischen Handlungen sieht der evangelische Pfarrer einen Rückfall in archaische, heidnische Opferrituale. Der Priester wird dafür entlohnt, dass er als Mittler Gott das Opfer darbringt, damit dieser für die bezahlte Opfergabe und den bezahlten Opferdienst den Opfernden wieder etwas zurückgibt. Eine verhängnisvolle Entwicklung, verschärft dadurch, dass auch noch die staatliche Obrigkeit in Anspruch genommen wird. Sie treibt die Zwangsabgabe ein - ebenfalls gegen Bezahlung. Staatliche und kirchliche Autorität sowie Interessen werden vermengt im Konstrukt einer religiösen „Körperschaft des öffentlichen Rechts“. Dieser historisch bedingte Sonderfall Deutschland ist für Teuffel unter heutigen Bedingungen, angesichts des schweren Ansehensverlustes der Kirchen, überholt.

Die Kritik wiegt schwer, weil sie in die theologische Mitte des Christusglaubens trifft. Der Pfarrer ruft die Quellen in Erinnerung: „Wo das Evangelium gepredigt und die Sakramente evangeliumsgemäß gereicht werden, gilt die örtliche Versammlung der Gläubigen als Kirche Jesu Christi. Kirche beruht nicht auf sichtbaren Körperschaften, sondern auf einem sichtbaren, hörbaren, ja sogar schmeckbaren Geschehen, das sich in Jesu Auftrag immer wieder neu vor Ort ereignen muss: ‚Solches tut zu meinem Gedächtnis‘ (Lukas 22,19).“

Die Kollekte in der Liturgie

Das Wesentliche am Christsein geschieht liturgisch, sakramental, prozesshaft in Wort und Zeichenhandlungen. Teuffel bezieht sich auf den katholischen Religionsphilosophen Romano Guardini, der „in einer gedankenprovozierenden Weise vom christlichen Gottesdienst beziehungsweise von der Liturgie als von einem ‚heiligen Spiel‘ gesprochen“ hat, „das demzufolge nichts über sich hinaus zu bezwecken sucht“. Die Glaubendengemeinschaft sei keine „korporierte Religionsgemeinschaft“, sondern eine „Spielgemeinschaft“. „Im Zentrum dieses heiligen Spiels steht die erinnernde Vergegenwärtigung des Pascha-Mysteriums, Christi Heilstat in Tod und Auferstehung, wie er es im letzten Abendmahl seinen Jüngern aufgetragen hat … Die christliche Liturgie gleicht eben einem Spiel, das Menschen als Mitspielende in das Geschehen hineinzunehmen sucht. Während Beobachter und Schaulustige außen vor bleiben, wird für Christen das heilige Spiel eine sie ‚übertreffende Wirklichkeit‘, deren sie in der ‚Gestaltgemeinschaft mit Christus‘ (Richard Schaeffler) teilhaftig werden.“

Zu diesem Spiel gehören „Regeltreue und Können“. Deshalb müssten Christen als Mitspielende „den besonderen Wort-Schatz dieses Spiels erlernt haben und in dessen Sprachregeln eingeführt worden sein. Weiterhin ist eine besondere christliche Lebensform geboten, die Menschen gemeinschaftsfähig mit dem Heiligen hält. Christliche Mission schließlich ist nichts anderes als Außenstehende zum Zuschauen und Mitspielen einladen. Eine liturgische Spielgemeinschaft, die ihren Herrn Jesus Christus öffentlich bezeugt und sich aus dessen Vorbild heraus anderen Menschen in deren Bedürftigkeit hingibt, verträgt keine Zwangsabgabe.“

In der Liturgie sieht der Autor den eigentlichen Ort, an dem die Glaubenden ihre Solidarität mit den Armen, Kranken, Notleidenden materiell-leiblich bekunden sollen. Die paulinischen Kollekten im Kontext liturgischer Handlungen geben vor, woran sich Christen heute ebenfalls orientieren sollten: Spenden, freiwillig, im Geist eucharistischer Danksagung. Zuerst geht es um die Bedürftigen, in zweiter Linie um die materielle Versorgung jener, die für die Verkündigung des Evangeliums und den Dienst am Glauben Verantwortung tragen und sorgen. Angesichts der Inflation der Personalkosten für kirchlich Bedienstete bei immer weniger Glaubens- und Kirchenleben ist eine Korrektur dringend notwendig: Konzentration aufs Wesentliche.

Irrweg Dienstleistungskirche

Heftig beklagt der evangelische Pfarrer die beschleunigte Tendenz hin zu einer „Anstaltskirche“ oder „Dienstleistungskirche“. Sie soll - so die Erwartung vieler - gegen Geld eine kommerzielle Ware religiöser Wellness anbieten. Die Glaubenden werden zu Klienten, zu Käufern, ganz wie auf dem weltlichen Markt. Teuffel: „Wo kirchliche ‚Heilsgüter‘ entweder als öffentliche Güter dargestellt oder auf religiösen Märkten angeboten werden, erwächst daraus keine gegenseitige Verbindlichkeit. Ein Konsument nimmt sich auf einem Markt etwas heraus, ohne damit für die Zukunft festgelegt zu sein. Die Konsumentensouveränität lässt immer wieder neu eigene Entscheidungen treffen. Somit können ‚Heilsgüter‘ niemanden für das Evangelium Jesu Christi und auch nicht für die Gemeinschaft der Gläubigen gewinnen. Märkte gebären keine Christinnen und Christen. Was für Christen wirklich zählt, sind weder natürliche Heilsgüter (‚Sinn des Lebens‘) noch übernatürliche Heilsgüter (‚ewiges Leben‘), sondern die Heilsgemeinschaft mit dem dreieinigen Gott.“

Nicht um seelisch-rituelle Bedürfnisbefriedigung geht es, sondern um die Verbindung mit Christus, die Christusförmigkeit. „Christsein ist keine Weltanschauung, sondern lebenslanges Beziehungsgeschehen. Und gerade die Lebensbeziehung auf Jesus Christus hin befreit Menschen aus einer religiösen Konsumentenrolle.“ Der Verfasser verweist auf Paulus: „Keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: Wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.“

Die theologische Analyse des Irrwegs der Kirchenfinanzierung über Steuer-Zwangsabgaben zeigt, dass es keine Nebensache ist, wie sich das religiöse Dasein materiell organisiert. Eine zu vermögende Kirche ist versucht, mehr und mehr Dinge an sich zu ziehen, Aufgaben zu schultern, die nicht Kern ihres Auftrags sind, dann aber Verbindlichkeiten zu schaffen, aus denen sie nicht mehr herauskommt. Der überbordende Kirchen-Apparat mit immensen Personalkosten und einer sich selbst reproduzierenden Bürokratie sowie sich selbst beschäftigenden Dienstleistungskultur ist das Ergebnis. Der bedeutendste private Arbeitgeber der säkularen Republik hat dann natürlich Pflichten gegenüber seinen Angestellten, selbst wenn diese gar nicht (mehr) die christliche Motivation teilen oder im persönlichen Verhalten und in der Lebensführung vom christlichen Ethos beharrlich abweichen, ihm widersprechen. Was dann? Einfach nur das Arbeitsrecht ändern, lascher machen? Was aber unterscheidet dann den weltlichen Betrieb Kirche von jeder anderen vergleichbaren weltlichen Unternehmung, etwa im sozialen Bereich? Diakonisch-caritative Verbände und Einrichtungen wiederum, die ohnehin überwiegend aus den gesamtgesellschaftlich erwirtschafteten Mitteln der Sozialversicherungsträger, vom Staat oder von den Kommunen finanziert werden, haben aus Sorge um ihre christliche Identität sowie die der bei ihnen Beschäftigten Leitbilder über Leitbilder entworfen. Vielfach bestätigen diese aber doch nur eins: Ratlosigkeit, Verlegenheit angesichts des religiösen, christlichen Abbruchs auf breiter gesellschaftlicher Front. Ohnehin gibt die Leitbilder-Inflation inhaltlich nicht viel anderes her als das, was andere - säkular humanistische - Institutionen genauso floskelhaft sagen können und sagen: „Dienst am Menschen“, „Der Mensch steht im Mittelpunkt“ …

Vielleicht muss die Kirche doch um der religiösen Glaubwürdigkeit willen vieles rückbauen und sich aus etlichem - freilich geordnet - zurückziehen, was sie nicht mehr leisten, nicht mehr mit Glaubenskraft füllen kann. Der Abschied von Liebgewordenem und Gewohntem bereitet Schmerzen. Als „Dienstherr“ kann und darf sich der weltliche „Unternehmer“ Kirche aus der in oft langer Entwicklung gewachsenen Verantwortung gegenüber den „Bediensteten“ nicht davonstehlen. Trotzdem gibt es auch die Pflicht zu Authentizität und Ehrlichkeit.

Anders geht es auch

Bedeuten das Ende der Kirchensteuer und die Minimierung des Kapitalvermögens auch das Ende von Kirche? Natürlich nicht! Nur das Ende deutscher Gewohnheiten. Anderswo geht Kirche auch. Wenn man meint, die Kirchensteuer sei alternativlos, und fragt, wohin man ohne sie käme, lautet Teuffels Antwort: Dorthin, „wo eben all die anderen Kirchen weltweit ohne Kirchensteuer existieren“. Norbert Feldhoff würde erheblich vorsichtiger und umsichtiger argumentieren. Aber auch er stellt - im Hinblick auf die infolge der Säkularisation rechtlich verbürgten Staatsleistungen an die Kirche - fest: „Wenn das Bestehen auf einem Rechtstitel letztlich dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Kirche schadet, entsteht aus kirchlicher Sicht Handlungsbedarf.“ Schon das Zweite Vatikanische Konzil habe festgestellt, die Kirche werde „sogar auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten, wenn feststeht, dass durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt ist oder wenn veränderte Lebensverhältnisse eine andere Regelung fordern“. Die Kirchensteuerfrage wie die Frage der kirchlichen Vermögenswerte und der Staatsleistungen als Ausgleich für enteigneten, in einer langen Feudalgeschichte zuvor aber auch nicht unbedingt moralisch sauber angehäuften Kirchenbesitz zielen durchaus ins Theologische. Daher sollte die Entweltlichungsrede von Papst Benedikt XVI. bei seinem Deutschlandbesuch 2011 im Freiburger Konzerthaus nicht verharmlost werden, als habe er nicht gemeint, was er sagte.

Die große Entweltlichungsrede

„In der geschichtlichen Ausformung der Kirche zeigt sich … auch …, dass die Kirche zufrieden wird mit sich selbst, sich in dieser Welt einrichtet, selbstgenügsam ist und sich den Maßstäben der Welt angleicht. Sie gibt nicht selten Organisation und Institutionalisierung größeres Gewicht als ihrer Berufung zu der Offenheit auf Gott hin, zur Öffnung der Welt auf den Anderen hin.

Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, muss die Kirche immer wieder die Anstrengung unternehmen, sich von dieser ihrer Verweltlichung zu lösen und wieder offen auf Gott hin zu werden … Die Geschichte kommt der Kirche in gewisser Weise durch die verschiedenen Epochen der Säkularisierung zur Hilfe, die zu ihrer Läuterung und inneren Reform wesentlich beigetragen haben.

Die Säkularisierungen - sei es die Enteignung von Kirchengütern, sei es die Streichung von Privilegien oder Ähnliches - bedeuteten nämlich jedes Mal eine tiefgreifende Entweltlichung der Kirche, die sich dabei gleichsam ihres weltlichen Reichtums entblößt und wieder ganz ihre weltliche Armut annimmt … Die geschichtlichen Beispiele zeigen: Das missionarische Zeugnis der entweltlichten Kirche tritt klarer zutage. Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben. Die missionarische Pflicht, die über der christlichen Anbetung liegt und die ihre Struktur bestimmen sollte, wird deutlicher sichtbar. Sie öffnet sich der Welt, nicht um die Menschen für eine Institution mit eigenen Machtansprüchen zu gewinnen, sondern um sie zu sich selbst zu führen, indem sie zu dem führt, von dem jeder Mensch mit Augustinus sagen kann: Er ist mir innerlicher als ich mir selbst (vgl. Conf. III, 6, 11). Er, der unendlich über mir ist, ist doch so in mir, dass er meine wahre Innerlichkeit ist. Durch diese Art der Öffnung der Kirche zur Welt wird damit auch vorgezeichnet, in welcher Form sich die Weltoffenheit des einzelnen Christen wirksam und angemessen vollziehen kann …

Eine vom Weltlichen entlastete Kirche vermag gerade auch im sozial-karitativen Bereich den Menschen, den Leidenden wie ihren Helfern, die besondere Lebenskraft des christlichen Glaubens zu vermitteln. ‚Der Liebesdienst ist für die Kirche nicht eine Art Wohlfahrtsaktivität, die man auch anderen überlassen könnte, sondern er gehört zu ihrem Wesen, ist unverzichtbarer Wesensausdruck ihrer selbst‘ (Enzyklika ‚Deus caritas est‘, 25). Allerdings haben sich auch die caritativen Werke der Kirche immer neu dem Anspruch einer angemessenen Entweltlichung zu stellen, sollen ihr nicht angesichts der zunehmenden Entkirchlichung ihre Wurzeln vertrocknen. Nur die tiefe Beziehung zu Gott ermöglicht eine vollwertige Zuwendung zum Mitmenschen, so wie ohne Zuwendung zum Nächsten die Beziehung zu Gott verkümmert. Offensein für die Anliegen der Welt heißt demnach für die entweltlichte Kirche, die Herrschaft der Liebe Gottes nach dem Evangelium durch Wort und Tat hier und heute zu bezeugen, und dieser Auftrag weist zudem über die gegenwärtige Welt hinaus; denn das gegenwärtige Leben schließt die Verbundenheit mit dem Ewigen Leben ein. Leben wir als Einzelne und als Gemeinschaft der Kirche die Einfachheit einer großen Liebe, die auf der Welt das Einfachste und das Schwerste zugleich ist, weil es nicht mehr und nicht weniger verlangt, als sich selbst zu verschenken.“

Die Analyse von Benedikt XVI. ist ebenso eine Weisung und ein Auftrag. Sein Nachfolger Franziskus I. hat das eindrücklich als Reformvorhaben aufgenommen. Daran ist nichts wegzudeuten, auch von der deutschen Kirche nicht

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