Papst Franziskus in Ecuador, Bolivien und ParaguayDer Papst der Armen

Geschickt hat Papst Franziskus bei seinem Besuch in Ecuador, Bolivien und Paraguay die Positionen der linken Parteien und Bewegungen Lateinamerikas aufgegriffen, um sie christlich neu zu bestimmen. Weitgehend sprachlos blieb er bei den neuen Herausforderungen in Glaubensfragen.

Papst Franziskus ist „nach Hause“ gereist. Indem der Argentinier Jorge Mario Bergoglio bei seiner einwöchigen Lateinamerikareise heimatlichen Boden gar nicht berührte, machte er anschaulich, wo für ihn „zu Hause“ liegt: So wie er sich als Erzbischof von Buenos Aires bei den Menschen in den Elendsvierteln am Rande heimisch fühlte, so hat er sich als Papst den Kleinbauern, den Indigenen, den ausgebeuteten Arbeitern, den Gefangenen in den drei weltpolitisch „abseits“ gelegenen Ländern Paraguay, Bolivien und Ecuador zugewendet. Am wirtschaftlichen Aufschwung Lateinamerikas haben sie bislang kaum Anteil.

Franziskus I. lebt die Brüderlichkeit gegenüber „dem Hungrigen, dem Durstigen, dem Fremden, dem Nackten, dem Kranken, dem Gefangenen“, zu der er Priester, Laien und Ordensleute beim Abschlussgottesdienst vor mehr als einer Million Gläubigen in Paraguays Hauptstadt Asunción aufrief. Im Elendsviertel Banado Norte, wo die Träume von 100000 Menschen auf ein besseres städtisches Leben regelmäßig in den Fluten des über die Ufer tretenden Rio Paraguay versinken, erinnerte er an die christliche Solidarität: Ein Christ könne nicht sonntags in die Kirche gehen und gleichzeitig das Schicksal der Bewohner der Randzonen ignorieren. In der bolivianischen Gefängnisstadt Palmasola, wo 5000 Männer, Frauen und Kinder in einer von Drogenbossen und anderen Kriminellen „geleiteten“ Parallelwelt sich selbst überlassen sind, verlangte er Umkehr und Vergebung: Haft dürfe nicht Weg- oder Ausschließen bedeuten, sondern müsse Teil einer Wiedereingliederung in die Gesellschaft sein.

Papst Franziskus hört den gesellschaftlich Ausgeschlossenen zu. Doch er bleibt dabei nicht stehen, sondern will „wirkliche Veränderungen der Strukturen“. Bei seiner Rede im Park des „Bicentenario“, der von Ecuadors sozialistischer Regierung zum zweihundertjährigen Jubiläum des Kampfes Lateinamerikas gegen die Kolonialherrschaft angelegt worden war, stellte der Papst seinen Appell zur Veränderung in eine geschichtliche Linie mit dem „Schrei nach Freiheit“ der Unterdrückten des Kontinents, die mit Simón Bolívar (1783-1830) gewaltsam aufbegehrten. Im Wunsch, das Evangelium der Nächstenliebe zu verkünden, brenne „dasselbe Feuer“ wie im Ruf nach Freiheit und Unabhängigkeit. Wer sich selbst für seinen Nächsten verschenke, verwirkliche die Liebe Gottes, verkünde das Evangelium. „Das ist unsere Revolution - denn der Glaube ist immer revolutionär.“

Im Geist Bolívars

So wie er den Befreiungskampf Bolívars in ein christliches Licht tauchte, nutzte der Papst auch die Ideen und Begriffe linker Bewegungen und Regierungen, um sie in seinem Sinn weiterzudenken: „Hier in Bolivien habe ich einen Ausdruck gehört, der mir sehr gut gefällt: ‚Wandlungsprozess‘“, bekannte Franziskus beim „Zweiten Welttreffen der Volksbewegungen“. Nicht nur, dass der Papst die bolivianischen Bischöfe bereits vor einem Jahr spürbar vor den Kopf gestoßen hatte, als er beim ersten von ihm angeregten Treffen von Nichtregierungs-Organisationen in Rom Boliviens kirchlich umstrittenen Präsidenten Evo Morales sprechen ließ und persönlich empfing. Er machte sich mit dem Begriff „proceso de cambio“ auch noch eine der Lieblingswendungen des indianischstämmigen Präsidenten zu eigen. Die Bischöfe befinden sich in deutlicher Opposition zu Morales, der die Kirche als eine der kolonialen Kräfte der Geschichte geißelt, welche jahrhundertelang die ursprünglichen Völker Boliviens unterdrückt hätten. Die katholischen Kirchenführer wehren sich dagegen, dass die Sonderrechte ihrer Glaubensgemeinschaft gegenüber anderen Religionsgruppierungen großenteils abgeschafft wurden, dass sich der plurinationale Staat Bolivien, wie er sich offiziell nennt, betont säkular gibt. Auch die sozialen Verbesserungen unter Morales wollen sie nicht anerkennen. Die fast schon demonstrative Nähe des Papstes zu Morales und zu dem ebenfalls sozialistisch orientierten Präsidenten von Ecuador, Rafael Correa, dürfte so manchen Bischof irritiert haben. Allerdings blieben ihre Reaktionen der Öffentlichkeit verborgen, da der Papst sie auf allen drei Stationen lediglich „hinter verschlossenen Türen“ traf.

Unter „Linken“

Morales und Correa empfinden jedenfalls Franziskus als „ihren“ Papst. Wenn er in seiner Enzyklika „Laudato si’“ von der „Mutter Erde“ spricht, die vom bestehenden Wirtschaftssystem zerstört wird, fühlen sie sich natürlich an die bis heute von zahlreichen Einheimischen verehrte Muttergottheit „Pachamama“ erinnert. Zustimmung der „Linken“ erntete ebenfalls die päpstliche Rede vom Kapitalismus als neuem Kolonialismus, „der die armen Länder zu bloßen Rohstofflieferanten und Zulieferern kostengünstiger Arbeit herabwürdigt“. Der Papst nutzte das ihm entgegengebrachte Wohlwollen auch, um Fehlentwicklungen zu kritisieren. Er erinnerte - etwas verklausuliert?- an die schmerzliche Erfahrung, „dass ein Wandel der Strukturen, der nicht mit einer aufrichtigen Umkehr des Verhaltens und des Herzens einhergeht, darauf hinausläuft, früher oder später zu verbürokratisieren, zu verderben und unterzugehen“.

Diese Worte zielen direkt auf die neue „Linke“ Lateinamerikas. Denn die Hoffnungen unter den Kleinbauern, unter den Verarmten in den wachsenden Elendsvierteln der Großstädte und vor allem unter der indianischen Urbevölkerung waren groß, als in vielen Ländern die Parteien der Großgrundbesitzer und wenigen reichen Familien endlich abgewählt wurden. Mit den demokratisch an die Macht gekommenen, sozialistischen Regierungschefs schien eine bessere, gerechtere Zukunft anzubrechen. Doch der ehemalige Bischof Fernando Lugo konnte sich als Präsident Paraguays nicht halten. Correa wie Morales haben ihre Leute mit gut bezahlten Posten versorgt, Presse- und Meinungsfreiheit eingeschränkt und wollen nicht von ihrem Amt lassen.

Ihr Vorbild ist Hugo Chavez, der frühere charismatische, doch umstrittene Präsident von Venezuela, auch nach seinem Tod 2013. Chavez hatte seit seinem Amtsantritt 1999 die - dank steigender weltweiter Nachfrage?- wachsenden Gewinne des staatlichen Erdölkonzerns genutzt, um die eigenen ärmeren Bevölkerungsschichten ebenso wie die aufstrebenden sozialistischen Bewegungen in den Nachbarländern zu versorgen. Wie Chavez hat auch Correa seine eigene Fernseh-Show, in der er dem Volk stundenlang seine Politik erläutert. Wie Chavez haben Morales und Correa Sozialprogramme aufgelegt, die Ausbeutung der Rohstoffe (weiter) verstaatlicht und Seilschaften in allen staatlichen Behörden gebildet. Wie Chavez hat Morales die Verfassung zumindest dehnbar interpretiert, um sich für eine dritte, in der Verfassung nicht vorgesehene Amtszeit wählen zu lassen. Correa will sogar die Verfassung entsprechend ändern. Der Blick auf das Nach-Chavez-Venezuela wird die beiden Präsidenten weiter darin bestärken, jegliche Beschränkung ihrer Amtszeit zu umgehen. Denn unter dem Chavez-Nachfolger Nicolás Maduro ist aus der paternalistischen, aber immer auch die Menschen begeisternden Art eines Hugo Chavez nackte Autokratie geworden. Wegen der fallenden Erdölpreise ist die Wirtschaft des Landes eingebrochen. Die Sozialprogramme stehen infolgedessen auf der Kippe, da die Staatseinnahmen zur Hälfte Gewinne aus den Ölexporten sind. Die Inflation galoppiert, die Erhöhung des Mindestlohns kann den gigantischen Kaufkraftverlust nicht ausgleichen. Produkte ausländischer Firmen gibt es meist nur gegen Vorkasse.

Alberto Acosta, der Ideengeber hinter Correa und ehemalige ecuadorianische Energieminister, beklagte in der österreichischen Wochenzeitung „Die Furche“, dass weiter auf den schnellen Dollar mit der gnadenlosen Ausbeutung von Rohstoffen gesetzt wird, eine Landreform sowie die Umverteilung der Wasserreserven bis heute ausgeblieben sind. Investitionen in Bildung und Gesundheit fehlten. Acosta fordert „mehr Demokratie und nicht weniger, mehr Bürgerbeteiligung statt mehr Zentralismus. Zuallererst muss man die Unabhängigkeit der Staatsgewalten wiederherstellen“. Der Sozialismus lateinamerikanischer Prägung habe nur neue Caudillos, starke Männer, als Führer entstehen lassen. „Dabei wäre es eine Aufgabe der Linken, den Caudillismo zu bekämpfen.“

Auch die Rechte der indianischen Völker des bolivianischen Tieflands werden von Morales, der dem Andenvolk der Aymara angehört, nicht ausreichend geachtet. Correa wiederum lobt zwar wortreich die päpstliche Umwelt-Enzyklika, um jedoch gleichzeitig im Yasuní-Nationalpark gegen den Willen der dort lebenden Indios nach Erdöl bohren zu lassen, wovon Menschen, Tiere und Pflanzen in einem der artenreichsten Regenwälder existenziell bedroht sind. In Paraguay haben Vertreter von Kleinbauern und Indigenen sogar ein Treffen mit dem Papst boykottiert, weil ihnen ein direktes Gespräch verweigert worden war. Dafür, die „Stühle zu wärmen“, wollten sie sich nicht hergeben. Zumindest nach außen hin war nicht deutlich genug vernehmbar, ob und wie der Papst die Regierungen aller Richtungen - in Paraguay ist mit Horacio Cartes ein milliardenschwerer Unternehmer Präsident - direkt und kritisch anfragte.

Eine Vergebungsbitte

Gelungen ist es Franziskus dagegen aufsehenerregend, die historischen Fehler der Kirche in Lateinamerika selbstkritisch zu benennen, ohne das positive christliche Erbe zu vergessen. „Im Namen Gottes sind viele und schwere Sünden gegen die Ureinwohner Amerikas begangen worden“, sagte er, wie einst ähnlich Papst Johannes Paul II. „Ich bitte demütig um Vergebung, nicht nur für die von der eigenen Kirche begangenen Sünden, sondern für die Verbrechen gegen die Urbevölkerung während der sogenannten Eroberung Amerikas.“ Der Papst übernahm damit nicht nur für Zwangsmissionierungen Verantwortung. Er ging über seinen Vorgänger hinaus, indem er auch für das gewalttätige Treiben der Eroberer, die sich als Christen verstanden, Reue zeigte.

Zugleich bat Franziskus I. Glaubende und Nichtglaubende, „sich an die vielen Bischöfe, Priester und Laien zu erinnern, welche die Frohe Botschaft Jesu mutig und sanftmütig, respektvoll und friedlich verkündet haben und verkünden, die … bewegende Werke der menschlichen Förderung und der Liebe hinterlassen haben, oft gemeinsam mit den einheimischen Bevölkerungen oder indem sie deren Volksbewegungen begleiteten, sogar bis zum Martyrium“.

Ein gelungenes Beispiel für den Dialog der Kulturen und eine gerechte Entwicklung sind für den Papst die von den Jesuiten ab dem 16. Jahrhundert gegründeten Reduktionen. In diesen Siedlungen lebten Indios unter der Leitung engagierter Missionare des Ordens, dem Papst Franziskus selber angehört. In den Reduktionen habe es weder Hunger noch Arbeitslosigkeit oder Unterdrückung gegeben. Es handele sich um „eine der interessantesten Erfahrungen von Evangelisierung und Gesellschaftsstruktur in der Geschichte“. Denn „die wahren Kulturen“ seien nicht „in sich selbst abgeschlossen, sondern dazu berufen, in der Begegnung auch anderen Kulturen neue Wirklichkeiten zu eröffnen“, so der Papst.

Bei aller Gefahr, das Leben in den Jesuiten-Reduktionen zu idealisieren, ist doch anzuerkennen, dass die Ureinwohner dort im Gegensatz zu anderen Orten vor den Übergriffen der Siedler geschützt waren. Es kam zum Austausch der Kulturen, Sprachen und Religionen. Die Jesuiten bewiesen den Weißen, die oft meinten, bei den einheimischen Völkern handle es sich gar nicht um Menschen, dass diese selbst zu hochstehender europäischer Bildung fähig waren?- die bis heute bekannten Barockorchester der Reduktionen sind hier nur ein Beispiel. Diese Siedlungen sind schließlich infolge einer brutalen Verfolgungspolitik durch portugiesisch-spanische Eroberungsallianzen zugrunde gegangen, und der Jesuitenorden wurde zeitweise weltlich und kirchlich verboten. Doch die Sprache der Guaraní hat bis heute überlebt. Sie wird in Paraguay von achtzig Prozent der Bevölkerung gesprochen.

Und Lateinamerikas Moderne?

Bei historischen Verweisen stellt sich die Frage: Was bedeutet die Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft? Die geistige Überzeugungskraft des christlichen Glaubens katholischer Prägung scheint in Lateinamerika nachhaltig zu schwinden. Angesichts wachsender evangelikaler und pfingstlerischer Gemeinschaften sowie eines mächtigen Säkularisierungsschubs insbesondere in Mittel- und Oberschicht blieb der Papst in Bezug auf ein modernes, aufgeklärtes Glaubens- und Gottesverständnis bei seinem Besuch nahezu sprachlos. Er will eine arme Kirche für die Armen, muss jedoch mitansehen, wie gerade in den Armenvierteln Lateinamerikas diese charismatischen Glaubensgemeinschaften auf dem Vormarsch sind.

Das Reden und das Handeln von Papst Franziskus zeigen, dass er auf die biblische Zusage vertraut, dass Gottesbegegnung mit und im Anderen möglich ist, oft gerade dann, wenn wir es nicht vermuten. Der Kern aller Gotteserfahrung liegt für ihn in der Option für die Armen, Entrechteten, für alle an den Rändern des Lebens: „Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?“

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