Abschiede, Ziele

Abschiednehmen übt CIG-Autor Christian Heidrich auf seiner Wanderung durchgängig. Abschied ist auch für die Menschen, die das Ende der DDR erlebt haben, ein Dauerthema. Wird man ostalgisch, wenn man nach dem großen Umbruch kein wirkliches Ziel mehr für sich entdecken konnte?

Abschied, Ziele
© Christian Heidrich

Meine Wanderung scheint mir eine fortgesetzte Übung in Abschiednehmen und Aufbrechen zu sein. Das hügelige Sauerland, das war vorgestern, die Wälder des Harzes gestern, und jetzt die Magdeburger Börde, sie wird auch bald überquert sein. So bedächtig die Annäherungen an Lüdenscheid oder Quedlinburg scheinen, so staunend ich die einladenden Marktplätze betrete und mich mit Menschen unterhalte, die mir den Weg weisen, manchmal auch ein Stückchen mitgehen, oder mir von der Kunst, den Kaffee „richtig“ zu rösten erzählen (Goslar! Halberstadt!), so rasch gilt es auch, einen Ort mit seiner Geschichte und mit seiner eigentümlichen Farbe zu verlassen. In Hückeswagen und in Warburg fühle ich mich wohl, doch am nächsten Morgen, zumeist in der Frühe, packe ich rasch meinen Rucksack und suche nach dem „Einstieg“ in die Tagesetappe. Ich könnte, manchmal sollte ich auch, länger bleiben. Doch mein Ziel ist Königsberg, und ich gehe gerne zielgerichtet.

Auf eine eigentümliche Weise ist das Thema Abschied bei den Menschen präsent, die die DDR-Geschichte bewusst erlebt haben. Verbitterung lässt sich auch bei zufälligen Gesprächen wahrnehmen, nicht selten pauschale Verdammungen, die eher auf Verletzungen denn auf rationale Überlegungen schließen lassen. Zur gleichen Zeit gibt es mehr oder weniger humorige Versuche, mit DDR-Symbolen zu spielen. Da gibt es am Ausgang von Oschersleben eine „Ostalgie Kantine“ samt nachgebautem Grenzübergang; da gibt es Ostalgie-Kabinette, durch die gerne auch ausländische Besuchergruppen geführt werden. „Wir sehen das ganz locker“, heißt es dann selbstverständlich. Mich aber lässt solch Ostalgisches eher schaudern. Wird man ostalgisch, wenn man nach dem großen Umbruch kein wirkliches Ziel mehr für sich entdecken konnte?

In der „Wanzleber Volksstimme“, einem Ableger der „Magdeburger“, stoße ich auf der ersten Seite auf die Überschrift: „Sklavendenken und Gehorsam. Erwin Strittmatter rechnet in seinen Tagebüchern mit sich und der DDR ab.“ Im Innern ein großer Artikel über die gerade veröffentlichten Tagebuchauszüge aus den Jahren 1974-1994 („Der Zustand meiner Welt“). Strittmatter, Bestsellerautor („Der Laden“) und ein Grande der DDR-Literatur, suchte offensichtlich zeitlebens nach einer Balance zwischen Widerstand und Gehorsam. Die Süße der Privilegien („Westreisen“, hohe Auszeichnungen) aber siegte in der Regel über den Schmerz, „äußerlich freiwillig in geistiger Beschränkung zu leben“.

Niemand, der sich kennt, wird mit Steinen werfen. Abschiede fallen uns schwer. Wohl dem, der ein Ziel hat.

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