Lob der Inkonsequenz

Was hilft zum Überleben? Auf der Über-Land-Wanderung ist bisweilen gerade mal eine Bulette als Verpflegung drin, mitunter nach einem Gespräch mit einer Verkäuferin in einer der Tankstellen.

Lob der Inkonsequenz
© Christian Heidrich

In Deetz habe ich eine Bulette gegessen. Ziemlich sicher war es die erste seit einer Berlin-Klassenfahrt. Wir Zehntklässler suchten damals nach den Spuren von Christiane F., fanden nur Ernüchterndes, was im Nachhinein wohl sehr gut war.

Die Bulette aß ich, weil sich in dem kleinen Ort zwischen Brandenburg und Werder nicht viele Alternativen anboten, zumindest nicht, ohne länger laufen zu müssen. Mir aber taten die Füße weh. Denn Fahrradwege befreien zwar von der Sorge der Wegfindung, und wenn sie denn an der Havel entlangführen, bieten sie auch wunderschöne Ausblicke. Doch der fortwährende Asphalt lässt die Füße ermüden - und schlimmer.

Die Bulette lag in einem Brötchen, dazu Senf und eine saure Gurke. Es war okay, und das Stückchen Blätterteig mit Quark, dazu ein Becher Kaffee, ebenso. War das ein Mittagessen, ein Abendessen? Beides wohl.

So geht es einem „Fernwanderer“ jenseits der ausgetretenen Pfade. Aber zumeist fühle ich mich wohl dabei. Hier könnte ich das „Lob der Inkonsequenz“ anstimmen. Das Wort stammt von dem polnischen Philosophen Leszek Kolakowski (1927-2009). Er meinte damit die menschliche Klugheit, eine Ideologie oder ein Ideal zumeist nicht bis zum Äußersten durchzuexerzieren. Bei einer Revanche oder Rache gibt es dann doch irgendwo ein Stopp, bei einem Kreuzzug des Guten ein Erbarmen mit dem Allzumenschlichen. Nur diese Inkonsequenz, so der Philosoph, lässt die Gesellschaften überleben.

Was das Essen unterwegs angeht, so ist eine solche Inkonsequenz höchst angebracht. Natürlich könnte man im nächsten Dorf versuchen, ein Vollkornbrötchen zu finden, im nächsten Gasthaus eine Speisekarte, die nicht nur Fleischbrocken anzubieten hat. Aber nicht immer ist dies wirklich der Mühe wert, und beim nächsten Mal weiß ich vernünftige Kost umso mehr zu schätzen.

In diesem Zusammenhang ein kleines Lob auch auf die Tankstellen, solche an Ortsausgängen, solche in der Provinz. Man kann sich auch hier über manch eigentümliches, auch kitschiges Warenangebot ereifern. Aber sie sind da, haben geöffnet, anders als manche Dorfbäckerei, die bereits vor Jahren geschlossen hat. Und sie bieten - häufiger als man denkt - einen annehmbaren Kaffee und eine überregionale Zeitung dazu. Die Berufstätigen, die sich dort allmorgendlich „ihr Brötchen“ holen, kennt die Kassiererin nicht selten mit Namen.

Am Rande:
Im Land Brandenburg sind bald Wahlen, Plakate allüberall. Neben dem Banalen und Unverdaulichen auch Pfiffiges. Da möchte ein junger Mann durch die Attribute „Pragmatisch, frech, sozial“ bestechen. Eine andere Partei bedient sich gar Theodor Fontanes: „Das Beste aber, dem Du begegnen wirst, das werden die Menschen sein.“ Interessant, welche Fortsetzung der Satz in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ besitzt: „…vorausgesetzt, dass du dich darauf verstehst, das rechte Wort für den ‚gemeinen Mann‘ zu finden.“ Das „rechte Wort“ zu finden - ein Großteil der politischen Kunst dürfte darauf beruhen.

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