Der Bäckerjunge

Das Denkmal des Bäckerjungen von Elblag erinnert CIG-Autor Christian Heidrich an den biblischen David, der dem Riesen Goliath trotze. Ein Plädoyer, auch den Kleinen und Heiteren, den Lebenskünstlern und Unbeacheten ein Denkmal zu setzen.

Der Bäckerjunge
© Christian Heidrich

Das junge Paar mit Kinderwagen, das am Markttor von Elblag (Elbing) vorbeigeht, bleibt kurz stehen und erweist dem Bäckerjungen eine sympathische Reverenz. Frau und Mann streichen durch sein Gesicht, streicheln seine Nase, lächeln und gehen dann weiter.

Damit klärt sich, weshalb die Farbe an der Nase so abgeblättert aussieht. Doch das ist nur ein Detail am Rande. Das kleine Denkmal des Bäckerjungen, ein Symbol der Stadt, ist eine jener Verdichtungen, die auf Legenden beruhen und dennoch ernstzunehmen sind. Als 1521 das Heer des letzten Hochmeisters des Deutschen Ordens, Albrecht von Brandenburg - er schloss sich wenig später der Reformation an und säkularisierte den Orden -, diese bedeutende Hansestadt belagerte, soll es ein Bäckerjunge gewesen sein, der geistesgegenwärtig mit einem Spatenhieb das Seil des Fallgitters am Markttor durchschnitt und damit die Stadt vor der Eroberung bewahrte.

Ob es tatsächlich so gewesen ist oder nicht - wahr ist, dass die Stadt der Belagerung tatsächlich trotzte und dem Preußischen Städtebund (Danzig, Thorn), aber auch der Polnischen Krone treu blieb. Dafür steht - inmitten der komplexen Geschichte einer Stadt, die bis 1500 mit Danzig zumindest mithalten konnte - der Bäckerjunge. Ein Leichtgewicht, ein "David" des Ostseeraumes, der die Pläne des anrückenden "Goliath" mit der schlichtesten aller Waffengattungen vereiteln kann.
Eine Sage, ein Traum, ein "So sollte es sein".

Ich denke an Roswitha von Gandersheim (vgl. den Eintrag vom12. August), die wusste, dass die vorgebliche "weibliche Schwachheit" eine Projektion der männlichen Verrohung ist; an den Hauptmann von Köpenick (vgl. den Eintrag vom 3. September), der der militaristisch aufgeheizten Gesellschaft seiner Zeit zeigte, dass Hierarchie bisweilen nur etwas mit Phantasieuniformen und ein paar selbstbewussten Worten zu tun hat; an Szymon Giety, den Clochard von Gorzów Wielkopolski (vgl. den Eintrag vom 12. September), der uns eine unbequeme Erinnerung an die andere, die leichtsinnige Seite unseres Lebens sein mag.

Wenn wir ihnen und nicht nur Martin Luther, Friedrich dem Großen oder Johannes Paul II. Denkmäler aufstellen, dann hat das etwas mit dem Tanzbein der menschlichen Geschichte zu tun. Wie groß die Großen auch waren, welche intellektuellen oder auch handfesten Schlachten sie geschlagen haben - ein Leben ohne die Kleinen, die Heiteren, die Lebenskünstler wäre nicht erträglich. Der Bäckerjunge von Elblag spricht davon, und die Menschen mögen ihn dafür.

Die Altstadt hat hier ein ganz eigenes Gesicht. In den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges wurde sie fast vollständig zerstört und blieb dann bis 1990 unbebaut. Erst die letzten Jahrzehnte sahen eine Wiederauferstehung der Häuser im alten Kern der Stadt. Großartig die historisierende Verbindung der alten Baustile mit modernen Formen. Die Straßenzüge und Viertel rund um den Markt wirken gediegen und auf eine phantasievolle Weise alt, obwohl sie kaum volljährig sind.
Auch das ist Lebenskunst: ein Erbstück, mit neuem Leben erfüllt.

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